Die Schaffung einer Theokratie

Am 6. Januar 1917 wurde Joseph Franklin Rutherford1, der einige Jahre lang der persönliche Rechtsberater Russells war, als Nachfolger des verstorbenen Pastors zum Präsidenten der Watch Tower Bible and Tract Society und ihrer angeschlossenen Organisationen gewählt. Mit seiner Wahl begann eine neue Ära in der Geschichte der Bibelforscher/Zeugen Jehovas.

Joseph Franklin Rutherford

Geboren am 8. November 1869 in Missouri und aufgewachsen auf der kleinen Farm seiner baptistischen Eltern, war Rutherford ein Mann von ganz anderem Zuschnitt als Russell. Statt in der Großstadtatmosphäre unter der liebenden Aufsicht eines wohlhabenden und gütigen Vaters aufzuwachsen, mußte Rutherford sehr schwer nahe an der Armutsgrenze arbeiten. Unter großen persönlichen Anstrengungen studierte er unter dem alten Gehilfen-System, das damals in den Vereinigten Staaten recht gängig war, Rechtswissenschaften und machte sein juristisches Staatsexamen im Jahre 1892. Er tat in Boonville, Missouri, vier Jahre lang als Staatsanwalt und später als Hilfsrichter für den 8. Judical Court of Missouri Dienst. Daher machte er sich ziemlich prätentiös als “Richter” Rutherford bekannt.2 Wahrscheinlich als Folge dieser frühen Erfahrungen und seiner Hingabe an die populistischen Ideen William Jennings Bryans3 entwickelte er eine starke Persönlichkeit, eine ausgesprochene, wenn auch selten erkennbare Sympathie für die Unterdrückten und eine gründliche Verachtung für das Big Business, für Politiker und später für Geistliche.

Wie Russell war auch Rutherford groß von Statur und allein schon durch seine Anwesenheit respekteinflößend. Er hatte eine laute, dröhnende Stimme und sah vom Scheitel bis zur Sohle aus wie ein amerikanischer Süd- oder Grenzstaatensenator. Bei seinen Freunden konnte er despotisch sein; wenn er mit Feinden zu tun hatte, war er rücksichtslos. Das erste offizielle Geschichtsbuch der Watch Tower Society, Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, beschreibt ihn als von “etwas brüsker, unumwundener Art”, “mit einer Offenheit an Probleme heranzutreten, daß einige Anstoß nahmen.”(4)Tatsächlich war er launenhaft und manchmal direkt bis rüde, mit einem explosiven Temperament, das ihn gelegentlich bis zur körperlichen Gewalt führen konnte. Er hatte auch eine Ader zur Selbstgerechtigkeit, die ihn einen jeden seiner Gegner als vom Teufel betrachten ließ. Doch am merkwürdigsten war die Tatsache, daß er zwar in manchen Dingen der allergrößte Puritaner war, in anderen jedoch durch und durch lasterhaft. Er bediente sich einer vulgären Sprache, litt unter Alkoholproblemen und wurde einmal von einem seiner engsten Gefährten öffentlich beschuldigt, er habe sich mit zwei Mitältesten und einer jungen Bibelforscherin eine höchst freizügige Varietévorstellung angesehen — und das am Mittwochabend vor der Feier des Abendmahls.5 Darüber hinaus gibt es Beweise, die den Gedanken nahelegen, er sei ein heimlicher Frauenheld gewesen.6

Er war allerdings mehr, als es diese knappe, wenig schmeichelhafte Beschreibung vermuten ließ. Rutherford lernte die Bibelforscher erstmals im Jahre 1894 kennen. 1906 wurde er getauft, und bald darauf wurde er ein Pilgerbruder. Nach einer gewissen Zeit wurde er bei seinen Mitgläubigen recht bekannt, weil er als Anwalt Prozesse führte, um Russells guten Ruf wiederherzustellen, weil er an öffentlichen Debatten teilnahm, um die Lehren der Bibelforscher zu verteidigen, und weil er im Jahre 1915 Russell in einer Verteidigungsschrift mit dem Titel A Great Battle in the Ecclesiastical Heavens in Schutz nahm.

Es waren daher Rutherfords Fähigkeiten, seine dynamische Rhetorik und seine Bereitschaft, mit den Gegnern der Bibelforscher wie ein Jeremia des 20. Jahrhunderts umzugehen, die ihn zu einem natürlichen Nachfolger Russells machten. So wurde er gerade einmal zwei Monate nach dessen Tod einstimmig zum Präsidenten der Watch Tower Society und der mit ihr verbundenen Organe gewählt, obwohl Russell ihn sicher nicht zu seinem geistigen Erben bestimmt hatte.

Tatsächlich hatte Russell gehofft, seine Position als Hauptsprecher der Bibelforscher werde von einer kollektiven Leitung übernommen. In seinem Testament hieß es, The Watch Tower sollte unter der Aufsicht eines fünfköpfigen Herausgeberkomitees stehen, und ohne Zustimmung von wenigstens drei Mitgliedern dieses Komitees sollte kein Artikel veröffentlicht werden.7 Interessanterweise war Rutherford nicht für das Komitee benannt worden; er war nur als eines von fünf Ersatzmitgliedern bestimmt worden.8 Während also Russell nicht die Absicht gehabt hatte, seine Macht oder intakte Führungsrolle an einen einzelnen Nachfolger abzutreten, hatte Rutherford ganz andere Vorstellungen.

Rutherford war ein Autokrat, der offensichtlich der Meinung war, er müsse zum Vorteil der (Wachtturm-)Gesellschaft — und aller Bibelforscher — mit eiserner Rute herrschen, statt nur die Entscheidungen des Direktoriums in die Tat umsetzen. Er weigerte sich zwar, aus Achtung vor Russells Andenken den Titel “Pastor” anzunehmen9, doch er benutzte die Verehrung Russells durch die Bibelforscher als Stütze für seine eigene Macht. Darüber hinaus steht fest, daß er schon seit der Zeit vor seiner ersten Wahl vorhatte, ebensoviel, wenn nicht noch mehr Macht auszuüben als sein Vorgänger.10

Das Wachtturm-Schisma von 1917

Die offizielle Geschichtsschreibung der Zeugen erweckt den Eindruck, während der kurzen Zeit zwischen Russells Tod und der Ernennung Rutherfords zum Wachtturm-Präsidenten hätten auch andere Personen Pläne geschmiedet, in dieses Amt zu kommen. Unter den “Intriganten” werden mehrere Figuren genannt, doch der Erzschurke war nach diesen Aufzeichnungen Paul S. L. Johnson. So wird Johnson als der Hauptanstifter dessen geschildert, was schon bald, im Sommer 1917, zum größten Schisma in der Bibelforschergemeinde werden sollte. Zusammengefaßt besagt der Bericht:

Vor seinem Tod hatte Präsident Russell seinen persönlichen Assistenten Alexander H. Macmillan angewiesen, Johnson nach Großbritannien zu schicken, damit er dort die Tätigkeit der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (IBSA) beaufsichtigte. Daher entsandte ihn Rutherford als Mitglied des Triumvirats, das die Geschäfte der Gesellschaft verwaltete, für die Zeit von November 1917 bis in die ersten Wochen des Jahres 1918 nach London. Als er dort ankam, sah er das Durcheinander in der britischen Organisation und entließ zwei der dortigen Verantwortlichen, H.J. Shearn und William Crawford. Laut Johnson planten diese Männer heimlich, eine von der Watch Tower Society in Amerika unabhängige Organisation zu gründen. Doch dann habe Johnson selbst versucht, sich eine unabhängige Rolle anzumaßen und behauptet, er sei Russells Nachfolger und der in Jesu Gleichnis in Matthäus 20:1-16 erwähnte Verwalter der Lohngelder. Sofort als Rutherford davon hörte, was dort vor sich ging, telegrafierte er an Johnson und forderte, daß Shearn und Crawford wieder eingesetzt werden sollten.11

Daraufhin begann Johnson, Telegramme an Rutherford zu schicken, weil er fest glaubte, wenn dieser “aufgeklärt” sei, dann würde er ihn unterstützen. Er war der Meinung, Rutherford sei “ohne Zweifel das Opfer einer von Shearn und Crawford gesteuerten Telegramm-Kampagne.”12 Daher schickte er selbst Telegramme mit 85 bis 115 Wörtern ab, in denen er sich und andere mit Esra, Nehemia und Mordechai identifizierte. Offensichtlich verlangte er von Rutherford, als dessen “rechte Hand” zu dienen.13

Rutherford gelangte zu der Überzeugung, Johnson sei geisteskrank, und telegrafierte ihm, er solle nach Amerika zurückkehren. Dauraufhin sandte Johnson ein Telegramm an den Watch Tower-Vizepräsidenten Alfred I. Ritchie sowie an den Sekretär-Kassierer William E. Van Amburgh, die anderen beiden Mitgliedern des Triumvirats, in dem er Rutherfords Autorität nicht anerkannte. Er machte Gebrauch von seiner Vollmacht, die ihm erteilt worden war, als er nach Großbritannien geschickt wurde, unterwarf das Bankkonto der International Bible Students einer Verfügungsbeschränkung und übernahm die Londoner Büros der IBSA. Er und ein weiterer Bibelforscher namens Housden nahmen die ganze Post an sich, öffneten den Safe der Vereinigung und nahmen alles Bargeld. Daraufhin sandte Rutherford, inzwischen Präsident, einen schriftlichen Widerruf der Ernennung Johnsons ab, und der Anwalt Johnsons war gezwungen, ein Verfahren fallenzulassen, in dem Rutherfords treue Anhänger daran gehindert werden sollten, £ 800 zu gebrauchen, die zeitweise bei der Bank festgelegt waren.14

Angeführt von Jesse Hemery, einem Rutherford-Getreuen, verbarrikadierte eine Gruppe von Bibelforschern in den Londoner Büros und der Niederlassung der IBSA Johnson in seinem Raum. Um zu entkommen, war er gezwungen, den Raum durch das Fenster zu verlassen und an einem außen angebrachten Regenrohr herunterzuklettern. Danach kehrte er nach New York zurück. “Später stellte Rutherford nach zwei langen Besprechungen fest, daß Johnson in jeder Hinsicht völlig normal sei, nur in einer nicht, nämlich im Hinblick auf sich selbst.”15

Dann reorganisierte Rutherford das Werk der Gesellschaft in Großbritannien unter Hemery und schaffte Frieden. Johnson forderte weiterhin, daß man ihn zurück dorthin schickte, aber Rutherford weigerte sich, dies zu tun.16

Es folgte ein erbitterter Streit zwischen Joseph F. Rutherford und vier Angehörigen des Direktoriums der Watch Tower Society: Alfred I. Ritchie (der im Januar als Vizepräsident durch Andrew N. Pierson abgelöst worden war), Robert H. Hirsh, Isaac F. Hoskins und J. Dennis Wright. Wenn man der Wachtturm-Version der Ereignisse folgt, waren diese Männer Anfang 1917 unzufrieden mit Rutherford und versuchten “voller Ambitionen, die Verwaltungsaufsicht über die Gesellschaft zu erlangen”. Das Ergebnis war, daß Johnson, als er nach Brooklyn zurückkehrte, die vier Mitglieder des Direktoriums beeinflußte, gegen Rutherford zu arbeiten.17

In den Aufzeichnungen der Wachtturm-Gesellschaft heißt es dann, das Direktorium sei entschlossen gewesen, die Satzung der Gesellschaft abzuändern, um Rutherford die rechtmäßige Autorität zu entreißen und ihn zu einer Galionsfigur zu machen. Das Ergebnis war, daß Rutherford gezwungen war, sie aus ihrem Amt zu entfernen. Er verschaffte sich ein schriftliches Gutachten eines Rechtsanwaltes aus Philadelphia, der kein Bibelforscher war. In diesem Gutachten hieß es, die vier Direktoren seien im Januar 1917 nicht rechtmäßig gewählt worden, sie seien nur von Russell ernannt gewesen und hätten also kein Recht, die Kontrolle über die Gesellschaft zu behalten. Im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1975 heißt es:

C. T. Russell hatte diese Männer als Vorstandsmitglieder ernannt, doch die Satzung der Gesellschaft forderte, daß Vorstandsmitglieder durch eine Abstimmung der Teilhaber gewählt würden. Rutherford hatte Russell gesagt, daß die Ernannten durch eine Abstimmung während der nächsten Jahresversammlung in ihrem Amt bestätigt werden müßten, doch Russell hatte dies niemals getan. Daher waren nur die Beamten, die während der Jahresversammlung in Pittsburgh gewählt worden waren, rechtmäßige Mitglieder des Vorstands. Die vier Ernannten waren keine gesetzlichen Glieder dieses Vorstands. Rutherford wußte dies während der ganzen Zeit, doch er hatte es nicht erwähnt, da er hoffte, daß diese Mitglieder des Vorstands ihren Widerstand aufgeben würden. Ihre Haltung zeigte jedoch, daß sie nicht als Vorstandsmitglieder geeignet waren. Sie wurden daher zu Recht von Rutherford entlassen, und an ihrer Stelle wurden vier neue Mitglieder des Vorstands ernannt, deren Ernennung Anfang des Jahres 1918 bei der nächsten Jahresversammlung der Gesellschaft bestätigt werden konnte.18

So erklärte Rutherford am 12. Juli 1917 in aller Heimlichkeit die vier für abgesetzt; er ersetzte sie durch A. H. Macmillan, W. E. Spill, J. A. Bohnet und G. H. Fisher, alles Rutherfords Leute, die auf der nächsten Jahreshauptversammlung der Gesellschaft bestätigt werden sollten.19

Am 17. Juli gab Rutherford das Buch The Finished Mystery [Das vollendete Geheimnis] als siebenten Band von Russells Schriftstudien heraus.20 Russell hatte oft davon gesprochen, er wolle einen siebenten Band schreiben21, hatte aber nie den “Schlüssel” gefunden, oder was wahrscheinlicher ist, die Zeit und die Kraft. Nun jedoch gab Rutherford ein Buch frei, das aus verschiedenen Bemerkungen aus Russells Werk bestand, dazu zahlreichen Zusätzen der Mitautoren Clayton J. Woddworth und George H. Fisher, in einem Kommentar der Bibelbücher Offenbarung, Hesekiel und Hoheslied. Zum posthumen Werk Pastor Russells hochstilisiert, war The Finished Mystery eine allegorische Auslegung der drei Bibelbücher und eine Lobrede auf Russell.

Die Freigabe von The Finished Mystery vor der versammelten Wachtturm-Bethelfamilie – dem Personal – beim Frühstück wirkte wie eine “Bombe”, und verursachte nach der Wachtturm-Geschichtsschreibung einen offenen Bruch. Johnson, die abgesetzten Direktoren und ihre Unterstützer tadelten Rutherford in einer langen, bitteren Debatte am Frühstückstisch.22 Um den Frieden zu erhalten, bat Rutherford am 27. Juli Johnson, das Bethel zu verlassen, und kurz darauf tat er dasselbe mit den früheren Direktoren.23

In alledem haben Rutherfords Anhänger ihn als langmütig beschrieben und gesagt, seine Handlungsweise sei völlig gerechtfertigt gewesen. Alexander H. Macmillan schrieb viele Jahre später: “Er tat alles in seiner Macht stehende, um den Gegnern zu helfen, ihren Irrtum einzusehen, er hatte eine Anzahl Zusammenkünfte mit ihnen und versuchte, mit ihnen zu argumentieren und ihnen zu zeigen, wie sehr ihr Kurs der Satzung der Gesellschaft und dem ganzen Programm Russells seit Gründung der Organisation entgegenstand.”24 Doch natürlich sind der offizielle Wachtturm-Bericht und Macmillans Bild von Rutherford nicht mehr als gründliche Verdrehungen der Wahrheit.

Selbst der grundlegende Abriß in Wachtturm-Aufzeichnungen ist nicht genau. Es stimmt wohl, daß mehrere Personen sich im November und Dezember des Jahres 1916 als voraussichtliche Nachfolger Russells ansahen. Es trifft auch zu, daß Paul Johnson ein seltsamer und sprunghafter Mensch war, der Russell durch seinen schlechten Rat viele Probleme bereitet hatte und der, gelinde gesagt, Visionen einer Herrlichkeit hatte.25 Ansonsten ist die offizielle Version der Ereignisse des Jahres 1917 unwahre Geschichtsschreibung.

Erstens betrieben Rutherford und seine Anhänger Kirchenpolitik mit harten Bandagen und waren keine Engel. Obwohl Rutherford sicher der hervorstechendste Kandidat für das Amt des Präsidenten gewesen war, wurde seine Wahl doch großenteils von zwei Männern vorangetrieben – Alexander H. Macmillan und William E. Van Amburgh.26 Zweitens: Zur Zeit seiner Wahl hatte er darauf bestanden, daß die Direktoren eine Reihe von Satzungspunkten verabschiedeten, die den Beamten der Gesellschaft größere Macht gaben.27 Drittens war Rutherfords Aufgabe, The Finished Mystery zu schreiben und herauszugeben, eine eigenmächtige, einseitige Handlung, die sicher die Rechte und Privilegien des Direktoriums und mehrerer Mitglieder des Herausgeberkomitees der Gesellschaft ignorierte.28 Obwohl Rutherford behauptete, er übe nur Rechte aus, die ihm nach der Satzung der Volkskanzelvereinigung, die ihm “die allgemeine Aufsicht und Kontrolle und die Verwaltung der Geschäfte und Angelegenheiten der besagten Korporation” gebe, zuständen, gab ihm dies nicht eine Generalvollmacht, die Ziele der Gesellschaft zu formulieren.29 Überdies wurde, wie heute bei der New Yorker Watchtower Society, die Volkskanzelvereinigung nach gültiger Praxis als der Watch Tower Bible and Tract Society untergeordnet behandelt; sie bekam alle Gelder für ihre Tätigkeit von der letztgenannten Korporation. Viertens: Er und sein “Küchenkabinett” ignorierten praktisch die Aufsichtsrechte nicht nur der vier Direktoren, sondern auch die des Vizepräsidenten Pierson.30 Fünftens ignorierte Rutherford Russells ausdrücklichen Willen, wie er in seinem Testament stand, als er versuchte, wie Russell zu handeln.31 Und schließlich: Wäre Rutherford wegen der Entlassung der vier Direktoren vor Gericht gebracht worden, hätte es gut sein können, daß er den Fall verlor. Seine Behauptung, sie seien nicht rechtmäßig gewählt worden, hält einer näheren Untersuchung nicht stand; besonders gilt dies im Fall Robert Hirsh, der nie von Russell ernannt worden war und der eine Zeitlang ein Rutherford-Anhänger gewesen war. Dann waren, worauf Vizepräsident Pierson, die Anwälte der entmachteten Direktoren und Paul Johnson alle hinwiesen, wenn die Direktoren nicht rechtmäßig gewählt worden waren, es auch die drei Funktionäre der Gesellschaft nicht: Rutherford, Pierson und Van Amburgh. Um im Januar 1917 als erwählte Beamte zu gelten, hätten sie rechtmäßig als Direktoren gewählt sein müssen. Doch das waren sie nicht, und daher hatten sie nach Rutherfords eigener Logik ihr Amt nicht rechtmäßig inne.32

Die Vermutung, daß Rutherford und seine Anhänger vernünftig handelten, ihre Gegner aber nicht, stimmt auch kaum mit den Tatsachen überein. Macmillan, der auch unter Rutherford Assistent des Präsidenten blieb, war ein intelligenter Mann mit einer offenen, angenehmen Persönlichkeit. Aber er war auch sehr unbeliebt bei den Direktoren als Intrigant und religiöser Politiker ersten Ranges.33 Van Amburgh, ein gepflegter, dünner, weißhaariger Mann mit randloser Brille und einem Spitzbart, verachtete demokratische Prozeduren und kontrollierte die Wachtturm-Konten so, daß niemand anders als der Präsident der Gesellschaft Einblick hatte.34 Während des Wunderweizen-Verfahrens hatte er Pastor Russell verletzt, wie er ihm ebenso durch seine fehlende Bereitschaft, offen auszusagen, geholfen hatte.35 Doch der am wenigsten Vernünftige von allen war Clayton J. Woodworth, einer der Mitautoren von The Finished Mystery. Jahre später sollte er sich als Mann mit einem gründlichen Gesundheitstick und Ärztehasser erweisen, während er 1917 der Art von wilder, allegorischer Auslegung ergeben war, mit der sich Paul Johnson beschäftigte.

In Hinsicht auf diese allegorische Auslegung übertraf Woodworth sogar noch Johnson, ein Faktum, das einen Historiker zu der Bemerkung veranlaßte, daß “aller Wahrscheinlichkeit nach Johnson ebenso klar im Kopf war wie seine Ankläger.”36 In der Tat ist man versucht zu fragen, ob sie nicht alle gleich verrückt waren, was ihren Gebrauch von Bibelstellen angeht. Woodworth griff zu Matthäus 20, um die Aktivitäten der Bibelforscher im Jahre 1917 zu beschreiben, so wie das zuvor schon Johnson versucht hatte, und Rutherford und sein Kreis akzeptierten diese Idee. In einer fünfseitigen Flugschrift namens Das Gleichnis vom Denarbehauptete Woodworth, der Denar stelle in Wirklichkeit das Buch The Finished Mystery dar, Christus sei der “Herr des Weinbergs”, und der “Verwalter”, zu dem Christus in dem Gleichnis sprach, sei kein anderer als Richter Rutherford. Die dreihundert Kolorteure der Gesellschaft wurden mit den Mitgliedern der Kriegstruppe Gideons aus Richter 7:19-23 verglichen. Die entlassenen Direktoren wurden als die Arbeiter angesehen, die mehr Lohn als den Denar haben wollten und sich beim “Hausherrn” beklagten. In diesem Fall wurde Rutherford auch als “Hausherr” angesehen.

Zweifellos jedoch war es Rutherfords persönliches Verhalten, und nicht das seiner Seite, das die meisten Probleme verursachte. Er war äußerst heimlichtuerisch, und er weigerte sich, irgendein Verantwortungsgefühl vor dem Direktorium zu zeigen. Er hielt nicht nur den Druck des Buches The Finishes Mystery vor dem Herausgeberkomitee der Gesellschaft geheim, er benutze auch Spendengelder für den Druck, die nie in den Büchern der Gesellschaft auftauchten.37 Gleichfalls schwerwiegend war, daß er und Van Amburgh sich unerbittlich weigerten, jemandem zu gestatten, die Bücher der Gesellschaft zu prüfen oder abzunehmen. Als Vizepräsident Andrew N. Pierson, der Mann, der ursprünglich Rutherford für das Amt des Präsidenten nominiert hatte, sie sehen wollte, konnte er das nur dann tun, wenn er bereit war, sein Amt zur Verfügung zu stellen.38 Pierson stellte öffentlich schriftlich fest: “Wir haben nie einen zufriedenstellenden Rechnungsbericht vom Kassierer erhalten, seit ich Direktor bin. Wir wissen weder, wieviel Stiftungsgelder da sind, noch, wie die Watch Tower Bible and Tract Society steht. Welche finanziellen Beziehungen gibt es zwischen der Watch Tower Bible and Tract Society und der Volkskanzelvereinigung? Wie werden die Stiftungsgelder investiert? Welche Sicherheiten bestehen? Was tragen sie ein”?39 Es gab auch nur wenige, die an Rutherford die Freundlichkeit sahen wie Macmillan. Johnson behauptete, während der Verhandlungen mit dem Richter nach seiner Rückkehr aus Großbritannien habe sich dieser grausam und voller Haß gegeben.40

Unmittelbar bevor Johnson gezwungen wurde, am 27. Juli 1917 das Bethel zu verlassen, behaupteten die abgesetzten Direktoren und Vizepräsident Pierson, Rutherford sei voller Wut auf ihn losgegangen und habe in körperlich angegriffen. In ihrem vollständigen Bericht heißt es:

Beim Mittagessen berichtete Bruder Rutherford der Bethelfamilie, wir würden gezwungen werden, das Bethelheim bis Montagmittag zu verlassen. Daraufhin betrachteten die Brüder es als ihre Pflicht, einige Feststellungen vor der Familie zu treffen. Bruder Rutherford, wollte, daß die Familie nur seine eigene Aussage hörte; aber wir beharrten darauf, und einer von uns sagte, er wolle einen Brief von Bruder Pierson vorlesen, in dem es hieß, ‘er wolle das alte Direktorium unterstützen’. Bruder Rutherford weigerte sich, den Brief vorlesen zu lassen und schrie, Bruder Johnson sei wohl zu Bruder Pierson gegangen und habe ihm gegenüber die Angelegenheit falsch dargestellt. Als Bruder Johnson dies standhaft leugnete, eilte Bruder Rutherford zu ihm, wandte körperliche Gewalt an, die ihn fast aus den Schuhen kippen ließ und sagte in einem Anfall von Leidenschaft: “Du wirst dieses Haus vor heute abend noch verlassen; wenn du nicht gehst, wirst du hinausgeworfen.” Noch vor dem Abend wurde diese Drohung wahrgemacht. Bruder Johnsons privates Eigentum wurde buchstäblich aus dem Haus getragen und Brüder wurden wie Wachleute an die verschiedenen Eingänge gesetzt, um ihn daran zu hindern, das Haus wieder zu betreten.41

Tatsächlich handelte Rutherford, als er 1917 die volle Kontrolle über die Wachtturm-Gesellschaft an sich riß, so, als ob er eine kommunistische Säuberungsaktion durchführte, statt die Gesellschaft vor “Gegnern” zu schützen. Er hatte nichts Falsches darin gesehen, Macmillan einen Polizisten herbeiholen zu lassen, um Wright, Hoskins, Ritchie und Hirsh – die zu dem Zeitpunkt noch voll als Direktoren der Watch Tower Society angesehen wurden – aus den Geschäftsräumen der Gesellschaft in der Hicks Street hinauswerfen zu lassen,42 obschon er weiterhin verpflichtet war, sie als Brüder in Christus zu betrachten. Und als die vier gezwungen wurden, das Brooklyner Bethel zu verlassen, wurden sie mit der größten Schroffheit behandelt, die Rutherford und seine Anhänger zeigen konnten. Später wurden Hirsh und Hoskins, wahrscheinlich ungesetzlich, als Direktoren der Volkskanzelvereinigung abgesetzt, als Rutherford und Macmillan am 31. Juli Vollmachten von Anteilseignern, die ihnen für die Wahlen im vorangegangenen Januar anvertraut worden waren, dazu benutzten, sie aus dem Amt zu wählen.43

Aus alledem sollte man nicht schließen, daß die entmachteten Direktoren fehlerlos waren. Das waren sie nicht. Die New Yorker Ekklesia der Bibelforscher sah Fehler auf beiden Seiten des Streites innerhalb der Gesellschaft.44 Vizepräsident Pierson zögerte zwischen Rutherford und seinen Gegnern, aber am Ende starb er in Übereinstimmng mit dem Präsidenten der Gesellschaft.45 Dennoch erscheint im Rückblick das, was Ritchie, Hirsh, Hoskins und Wright von Rutherford forderten, weit vernünftiger, als es die Gesellschaft heute zugeben möchte. Vielleicht wissen die Funktionäre der Gesellschaft das auch. Noch in den 1950er Jahren, als William Cumberland, der damals an seiner Dissertation an der Universität von Iowa arbeitete, Dokumente der Gesellschaft in Verbindung zu dem Schisma von 1917 untersuchen wollte, verweigerte man ihm den Einblick. Er war gezwungen, sie sich von den Dawn Bible Students geben zu lassen, die in vielerlei Hinsicht die Erben der Gegner Rutherfords sind.46

Der Vertreibung Johnsons und der früheren Direktoren aus dem Bethel folgte ein Flugschriftenkrieg, bei dem die verschiedenen Parteien ihre Sicht der Dinge präsentierten. Rutherfords Gegner hofften, ihn bei der bevorstehenden Jahresversammlung der Anteilseigner der Gesellschaft, die für Januar 1918 angesetzt war, seines Amtes zu entheben. Sie regten an, Menta Sturgeon, der Privatsekretär Rutherfords und der Mann, der bei ihm war, als er starb, würde doch einen guten Präsidenten abgeben.47 Aber Rutherford manövrierte sie vollkommen ins Abseits.

Rutherford rief nach einer demokratischen Stichwahl unter den Bibelforschern für November 1917. Das Votum war zwar nicht bindend, doch es schuf die Grundlage für seine Wiederwahl und die seiner Anhänger. Zweifellos sah die Bibelforschergemeinde die Gesellschaft als eine heilige Institution an, da sie so eng mit Russell verbunden gewesen war. Weil Rutherford sie während des Herbstes und Winters kontrollierte, erhielt er die Unterstützung der meisten Bibelforscher, auch wenn nur wenige wußten, was eigentlich vorging.48

Als die Anteilseigner zu einer Sitzung zusammenkamen, wurde Rutherford wiedergewählt, während seine Gegner nur einen geringen Prozentsatz der Stimmen erhielten. Selbst Vizepräsident Pierson, der in seiner Unterstützung für den Richter gezögert hatte, gelang es nicht, in das Direktorium aufgenommen zu werden.49 Die vier abgesetzten Direktoren und Johnson mußten sich daher Rutherford und seinen Anhängern unterwerfen, oder sie mußten in der Zukunft getrennte Wege gehen. Sie wählten das zweite.

Zum Frühjahr 1918 beschlossen die Abweichler, getrennt zur jährlichen Feier des Abendmahls des Herrn mit denjenigen Gruppen von Bibelforschern zusammenzukommen, die sie unterstützt hatten. Es entwickelten sich zwei neue Bewegungen: eine um drei der vier ehemaligen Wachtturm-Direktoren, eine weitere um Paul Johnson. Es waren das Pastoral Bible Insitute und die Layman’s Home Missionargesellschaft.50 An der Westküste der Vereinigten Staaten und Kanadas brach noch eine dritte Gruppe, die sich “Standfasters” nannte, mit der Gesellschaft. Obwohl sie zweifellos von den Vorgängen in New York berührt waren, ging es ihnen in erster Linie darum, daß die Gesellschaft sich nicht fest gegen die Beteiligung an patriotischen Unternehmungen während des Ersten Weltkriegs ausgesprochen hatte.51

Die Bibelforscher und der Erste Weltkrieg

Wie bereits zuvor angedeutet, waren Russell und die Bibelforscher deutlich gegen eine Beteiligung am Krieg eingestellt. Obschon sie darin die Erfüllung einer Prophezeiung sahen, betrachteten sie die an ihm beteiligten Nationen als von Dämonen beherrscht und nicht in der Gunst Gottes stehend. Das führte dazu, daß die Bibelforscher, die sich weigerten, als Kombattanten zu dienen, als sie für den Militärdienst erfaßt wurden, oft Gefängnishaft und brutale Behandlung erlitten; in einigen wenigen Fällen wurden sie auch hingerichtet.52

Als die Wachtturm-Gesellschaft im Sommer 1917 eine beißende Kampagne gegen die Unterstützung des Krieges durch die Geistlichkeit in den Vereinigten Staaten, in Kanada und Grobritannien anlaufen ließ, sollten die Reaktionen nicht lange auf sich warten lassen. Während des Herbstes jenes Jahres verteilten die kanadischen Bibelforscher große Mengen des Buches The Finished Mystery und Traktate mit dem Titel The Bible Students Monthly, die beide Angriffe auf den Militarismus und die Geistlichkeit enthielten.53 Im Januar 1918 verbot die kanadische Regierung diese Veröffentlichungen und begann mit einer umfassenden Vefolgungskampagne gegen die Bibelforscher.54

Die Geistlichkeit und andere nahmen den Ruf gegen sie in den Vereinigten Staaten auf. Man begann, Bibelforscher einzusperren, mit Pöbelrotten gegen sie vorzugehen, sie zu teeren und zu federn und sie im ganzen Land zu schikanieren.55 Gegen acht Direktoren der Watch Tower Society wurde Haftbefehl erlassen: J. F. Rutherford, W. E. Van Amburgh, A. H. Macmillan, R. J. Martin, C. J. Woodworth, G. H. Fisher, F. H. Robinson und Giovanni De Cecca. Sie wurden der Aufwiegelung unter dem amerikanischen Spionagegesetz beschuldigt. Am 21. Juni wurden sieben von ihnen zu jeweils zwanzig Jahren im Bundesgefängnis in Atlanta, Georgia, verurteilt; De Cecca erhielt zehn Jahre. Zu jener Zeit zog das verbleibende Personal der Weltzentrale der Watch Tower Society von Brooklyn wieder zurück nach Pittsburgh um. Obwohl sie weiterhin The Watch Tower and Herald of Christ’s Presenceherausgaben, schienen die Bibelforscher in fast jeder anderen Hinsicht als Bewegung fast zerstört zu sein.56

Über den Winter wurden Rutherford und seine Mitdirektoren durch ihre Wiederwahl in ihre Ämter durch Mitglieder der Watch Tower Society, die im Januar 1919 in Pittsburgh zusammenkamen, ermuntert. Macmillan sah diese Wahl als ein Zeichen der Gunst Jehovas an. Er räumte unbeabsichtigt ein, daß alle früheren Wahlen der Funktionäre der Gesellschaft im voraus festgelegt waren – darunter auch die von 1917 – als er gegenüber Richter Rutherford feststellte: “Das ist das erste Mal, seit es die Gesellschaft als Korporation gibt, daß es ganz offensichtlich werden kann, wen Jehovas als Präsidenten haben möchte.”57 Natürlich hatte die Säuberung in den Reihen der Gesellschaft von der gegen Rutherford eingestellten Gruppe bereits stattgefunden; sie waren keine Bedrohung mehr. Und zweitens wurden die inhaftierten Direktoren von den Bibelforschern, die selbst verfolgt wurden, als Märtyrer angesehen. Alles zusammen betrachtet wäre es überraschend gewesen, hätte Macmillan sein Zeichen der Gunst Gottes nicht empfangen.

Im März 1919 ordnete Richter Louis Brandeis vom U.S. Supreme Court die Entlassung Rutherfords und seiner Mitdirektoren aus dem Gefängnis an. Im April erklärte Richter Ward vom Zweiten Bundesberufungsgericht in New York: “Die Beklagten in diesem Fall hatten nicht das maßvolle und unparteiliche Verfahren, auf das sie Anspruch hatten, und aus diesem Grunde wird das Urteil aufgehoben.” Ein Jahr später ließ die US-Regierung alle Anschuldigungen gegen sie fallen.58

Neuorganisation nach dem Kriege

Nach der Freilassung aus Atlanta begann Richter Rutherford mit einer größeren Neuorganisation der Tätigkeiten der Bibelforscher. Am 4. Mai 1919 sprach er vor einem Kongreß in Los Angeles, und als seine Bemerkungen wohlwollend aufgenommen wurden, beschloß er, einen allgemeinen Kongreß der amerikanischen und kanadischen Bibelforscher nach Cedar Point, Ohio, einzuberufen.(59) In Cedar Point erklärte er, daß die Bibelforscher ‘die göttliche Botschaft von der Versöhnung an die Welt’ zu überbringen hätten. Um ihnen dabei zu helfen, kündigte er die Herausgabe einer neuen Zeitschrift an, The Golden Age60 [Das goldene Zeitalter], womit er eine besondere Vorkehrung im Testament Russells verletzte.61

Im Herbst des Jahres 1919 begannen die Bibelforscher mit der regelmäßigen Verbreitung der Zeitschrift The Golden Age von Haus zu Haus.62 Und was noch wichtiger war: 1920 begannen “Bibelklassen”-Arbeiter, also einzelne Zeugen, die in der öffentlichen Evangelisierung tätig waren, damit, ihre Tätigkeiten der Watch Tower Society zu berichten. Das Buch Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben sagt etwas unrichtig, was damals unter dem neuen Wachtturm-Präsidenten geschah: “Die Zügel der Verantwortung für den Predigtdienst begannen straffer angezogen zu werden, als im Jahre 1920 alle Versammlungsglieder, die am Zeugnisdienst teilnahmen, ersucht wurden, einen wöchentlichen Bericht [sic] abzugeben. Vor 1918 hatten nur Kolporteure oder Pioniere [Vollzeitprediger] über ihren Dienst Bericht erstattet. Auch wurden den Versammlungen für ihren eigenen Felddienst bestimmte Gebiete zugeteilt. Im ersten Berichtsjahr, im Jahre 1920, gab es 8052 ‘Bibelklassen’-Arbeiter und 350 Pioniere.”63 So begann eine der größten Bekehrungskampagnen in der Geschichte – eine, die bis heute anhält.

Rutherford war darauf bedacht, die Predigttätigkeit in Länder außerhalb der Vereinigten Staaten auszudehnen. So machte er 1920, zur selben Zeit, als das öffentliche Predigtwerk auf Versammlungsebene neuorganisiert wurde, eine Reihe von bedeutsamen Änderungen in der Organisation der Bibelforschergemeinde außerhalb der USA. Das kanadische Zweigbüro der Internationalen Bibelforscher zog von Winnipeg in Manitoba nach Toronto in Ontario um.64 Während einer Reise nach Großbritannien, dem europäischen Kontinent, Palästina und Ägypten sorgte der Richter für die Einrichtung eines zentraleuropäischen Wachtturm-Zweigbüros und einer Druckerei in Zürich, Schweiz.65 Zusätzlich schuf er einen weiteren Zweig in Ramallah in Palästina, innerhalb Sichtweite Jerusalems.66 Im Jahre 1921 gab es eine weitere Ausdehnung, und nun zählte die Wachtturm-Gesellschaft achtzehn ausländische Zweige und zwölf Zweigbüros innerhalb der USA, die den fremdsprachigen Gruppen in den Vereinigten Staaten dienen sollten.67

Millionen jetzt Lebender werden nie sterben

Ein wichtiger Faktor beim Wachstum der Bibelforscher in den frühen 1920er Jahren in bezug auf Anzahl und Tätigkeit war etwas neben der verbesserten Organisation: es war der Feldzug “Millionen jetzt Lebender werden nie sterben”. Kurz vor seiner Verhaftung im Jahre 1918 hatte der Richter in Kalifornien eine Ansprache mit diesem Titel gehalten, aber erst im September 1920 kam ein Buch desselben Namens heraus, das in einem großem Ansprachenprogramm und in Zeitungsannoncen angekündigt wurde. Das Buch wurde in elf Sprachen übersetzt – darunter Jiddisch, Maylayalam und Burmesisch – und zu einem Bestseller. Was neben dem Titel der neuen Publikation offenbar so viel Interesse anfachte, war die Vermutung, das Tausendjahrreich werde 1925 beginnen. Diese Vorausberechnung, basierend auf Jubeljahrzyklen, die sich ursprünglich in dem Buch Three Worlds fand, veranlaßte Rutherford zu der Spekulation, dann gebe es eine “völlige Wiederherstellung” der Menschheit. Weiter hieß es: “Wir dürfen erwarten, daß das Jahr 1925 Zeuge der Wiederkehr dieser treuen Männer Israels [Abraham, Isaak und Jakob] aus dem Zustand des Todes sein wird; sie werden auferstehen und völlig zu menschlicher Vollkommenheit wiederhergestellt sein und zu sichtbaren, rechtmäßigen Vertretern der neuen Ordnung der Dinge auf Erden gemacht werden.”68

Es stimmt wohl, daß der Richter, wie auch Russell vor ihm, nicht den Anspruch erhob inspiriert zu sein, und daß er im folgenden Jahr in dem Buch The Harp of God[Die Harfe Gottes] eine vorsichtigere Haltung einnahm. Dort bemerkte er: “Chronologie hängt in gewissem Maße wenigstens von genauen Berechnungen ab, und es liegt immerhin eine gewisse Möglichkeit vor, Versehen zu machen. Erfüllte Prophezeiung ist das wirkliche Geschehen vorausgesagter Dinge, die nun in Wirklichkeit existieren und endgültig festgelegt sind.”69 Weder Rutherford noch seine Mitstreiter jedoch schenkten dieser vorsichtigen Einschränkung wirklich viel Aufmerksamkeit; sie verkündeten weiterhin die in Millionen jetzt Lebender werden nie sterbenpublizierte Vorhersage. Beispielsweise sagte William Van Amburgh in dem Buch The Way to Paradiese [Der Weg zum Paradies], 1924 heraugebracht, noch mehr Einzelheiten voraus, was alles im folgenden Jahr und danach passieren sollte.70 Als sich nun das Jahr 1925 näherte, war unter den Bibelforschern große Erwartung angefacht. Nach Berichten, die unter Personen die Runde machten, die damals zu den Bibelforschern gehörten, gaben viele ihre Geschäfte und Arbeitsstellen auf und verkauften sogar ihre Häuser in der Erwartung, sie würden bald in einem irdischen Paradies leben. Als daher Richter Rutherford im Watch Tower vom 15. Februar 1925 einräumte, man habe vielleicht zu viel für dieses Jahr erwartet71, war es zu spät. Zahlreiche Bauern, die Bibelforscher waren, hatten sich geweigert, die Frühjahrsaussaat auszubringen, und machten sich über ihre Mitgläubigen lustig, die es doch taten. Als dann das Jahr 1926 kam und weder Abraham und die anderen “Treuen der alten Zeit” erschienen waren, noch irgendwelche Zeichen für ein Paradies zu sehen waren, war die Enttäuschung groß.

Obwohl Rutherford in den Veröffentlichungen der Gesellschaft keinerlei wirkliche Schuld eingestand, gab er doch ungewohnte Entschuldigungen bei Kongressen der Internationalen Bibelforschervereinigung. Offensichtlich war auch er bekümmert. In einer öffentlichen Ansprache im Jahre 1975 in Australien stellte der spätere Präsident der Watch Tower Society, Frederick W. Franz, fest, der Richter habe eingeräumt, ‘sich lächerlich gemacht zu haben’. Doch das hielt ihn nicht davor zurück, weiterhin zu verkünden, das Ende der Welt ‘stünde unmittelbar bevor’ und sei innerhalb von ein paar Jahren, vielleicht auch nur Monaten, zu erwarten. Und die Tatsache, daß er falsch prophezeit hatte, ließ ihn auch nicht noch einmal über den Predigtfeldzug der Bibelforscher, seinen Dienst oder seinen Wunsch nachdenken, seine persönliche Macht beizubehalten und auszubauen. Doch wie die Ereignisse zeigen sollten, dachten viele Bibelforscher ganz anders: das Debakel von 1925 zusammen mit einer wachsenden Abneigung gegen den Wachtturm-Präsidenten sollte viele Tausende veranlassen, die Bewegung in den folgenden Jahren zu verlassen.

Rutherfords Dienst

Während der Jahre, die auf 1925 folgten, ließ Rutherford eine Flut neuer Bücher und Broschüren folgen, darunter Deliverance im Jahre 1926, Creation im Jahre 1927, Reconciliation, Government and Life im Jahre 1929, und eine Anzahl weiterer bis zur Veröffentlichung von Children, seinem letzten Werk, im Jahre 1941. Tatsächlich schrieb er im Durchschnitt ein Buch pro Jahr, und seine Veröffentlichungen erreichten insgesamt eine Auflage von 36 Millionen Exemplaren.72 Aber er war nicht nur Schriftsteller. Er erwies sich in jeder Hinsicht als eine treibende Kraft, wie Russell es gewesen war. Immer wieder hielt er auf Wachtturm-Kongressen Ansprachen oder sprach über nationale und internationale Rundfunkstationen zwischen Mitte der 1920er Jahre bis 1937, sowie auf vielen Phonographenaufnahmen.

Kongresse

Sehr wichtig war auch die Tatsache, daß Rutherford die Kongresse der Bibelforscher/ Zeugen Jehovas zu großen öffentlichen Ereignissen machte. Obwohl sie schon zu Russells Zeiten wichtig gewesen waren, waren sie damals nur wenig mehr als geistige Zusammenkünfte für die Bibelforscher selbst. Unter Rutherford änderte sich dies in dramatischer Weise.

Zwischen 1922 und 1928 veranstaltete die Watch Tower Society eine Reihe von Kongressen, von denen die Zeugen Jehovas heute glauben, sie seien das in Offenbarung 8:1-9 und 11:15-19 erwähnte Blasen von sieben Trompeten durch Engel.73 Demgemäß verurteilte jeder Kongreß einen Teil der “Organisation Satans” oder Satan selbst. Im Jahre 1922 wurde in Cedar Point, Ohio, die Unterstützung der Geistlichkeit für den Völkerbund als Illoyalität gegenüber Christi Königreich verurteilt. Unmittelbar darauf wurden etwa 45 Millionen Exemplare einer dahingehenden Resolution in der ganzen Welt verteilt. Im folgenden Jahr, in Los Angeles, verabschiedeten die Kongreßbesucher eine Resolution mit dem Titel “Ein Warnruf”, die wiederum die Geistlichkeit angriff und die wieder auf dem ganzen Globus verteilt wurde. In Columbus, Ohio, nahmen sie im Jahre 1924 die “Anklage” gegen Geistliche an und verteilten noch mehr Exemplare eines Faltblattes mit dem Titel “Offene Anklage gegen die Geistlichkeit” als bei den vorhergehenden Resolutionen. Dann, im Jahre 1925, verkündeten sie in Indianapolis, Indiana, eine “Botschaft der Hoffnung” für die Menschheit, aber verurteilten weiterhin die Christenheit und ihre religiösen Führer. In London, England, riefen sie ihre Zustimmung zu “Ein Zeugnis an die Herrscher der Welt” heraus, worin Großbritannien und die Welt kritisiert wurden. Im folgenden Jahr las Richter Rutherford in Toronto, Ontario, eine Resolution vor 15000 versammelten Bibelforschern vor, die den Titel “An die Völker der Christenheit” trug. Eine stützende Ansprache, “Freiheit für die Völker”, wurde über eine internationale Kette von dreiundfünfzig Radiostationen verbreitet, für die damalige Zeit eine erstaunliche Anzahl. Schließlich, im Jahre 1928, nahmen die Bibelforscher in Detroit, Michigan, eine “Öffentliche Erklärung gegen Satan und für Jehova” an.74

In späteren Jahren waren andere Kongresse ebenfalls von erstrangiger Bedeutung, besonders der von 1935 in Washington, D.C., und ein weiterer in St Louis, Missouri, im Jahre 1941. Beim zweiten, dem letzten Richter Rutherfords, waren etwa 115000 Personen anwesend,75 und Jehovas Zeugen waren in der Lage, öffentlich der schrecklichen Verfolgung zu wiederstehen, die sie damals als Ergebnis der Beschuldigung, sie seien unpatriotische Gegner der Nationen, in denen sie lebten, wie eine Flutwelle erfaßte.

Die wachsende Macht Rutherfords

Während Rutherford seine Schreib- und Predigttätigkeit weiter durchführte, begann er, noch größere Kontrolle über die Bibelforschergemeinde zu erlangen. Er war 1917 insoweit absoluter Herrscher, wie es die geschäftlichen Angelegenheiten der Gesellschaft betraf. Im Jahre 1925 herrschte er ebenso unumschränkt, wenn es um die Festlegung von Lehren in den Wachtturm-Publikationen ging. Er veröffentlichte er einen wichtigen und lehrmäßig revolutionären Artikel mit dem Titel “Die Geburt einer Nation”,76 obwohl das Herausgeberkomitee der Gesellschaft Einwände hatte. Daraufhin löste er das Komitee auf.77 Doch die Ekklesias waren immer noch vergleichsweise unabhängig unter ihren eigenen gewählten Ältesten. Das sollte jedoch nicht so bleiben. Wie Paul Johnson schon früher vermutet hatte,78 war Rutherford fest entschlossen, sie im Namen dessen unter die zentralistische Wachtturm-Kontrolle zu bringen, was er später die “theokratische Herrschaft” nannte.

Gemäß Rutherford war es die Hauptaufgabe der Bibelforschergemeinde, zu predigen. Um diesem Erfordernis nachzukommen, mußte alles unternommen werden, was das Evangelisieren förderte – insbesondere das Evangelisieren von Tür zu Tür mit den Veröffentlichungen der Gesellschaft.

In den 1920er Jahren war Rutherford so weit, den Anspruch zu erheben, alle Christen müßten in Erfüllung von Matthäus 24:14 öffentlich predigen. Doch trotz dieses ständigen Drucks widerstanden andere – vielleicht die Mehrheit – dem Versuch, sie dazu zu zwingen. Viele behielten den Glauben aus den Tagen Russells bei, Charakterbildung sei wichtiger als das Jüngermachen. Viele konnten auch nicht das Argument akzeptieren, alle müßten von Tür zu Tür Zeugnis geben. Und am wichtigsten: Zahllose Wahlälteste ärgerten sich über die zunehmende Macht der Gesellschaft über die Ortsversammlungen und die Manipulation dieser Versammlungen. Um daher sein Ziel der völligen Beherrschung der Bibelforschergemeinde zu erreichen, hatte Rutherford eine Anzahl von Schritten zu unternehmen. Unter anderem mußte er die Idee von der Heiligung oder Charakterentwicklung zerstören, sowie die Vorstellung, daß Russell der treue und kluge Knecht gewesen war.

Um seinen ersten Schritt zu tun, veröffentlichte er einen Artikel im Watch Tower vom 1. Mai 1926, in dem er den Begriff “Charakterentwicklung” völlig in Verruf brachte.Wenn man sich diesen Artikel ansieht und ihn mit Russells Aussagen zu diesem Thema vergleicht, wird man interessanterweise feststellen, daß Rutherford einen Strohmann attackierte. Nichtsdestoweniger konnte er dadurch, daß er die ältere Vorstellung der Bibelforscher von einer Heiligung als “Werkgerechtigkeit” in Mißkredit brachte, paradoxerweise mehr die Betonung auf das Werk des Evangelisierens legen.

Es war jedoch offensichtlich, daß die Bibelforscher, so lange die Gesellschaft die Werke Russells verbreitete und ihn weiterhin als den treuen und klugen Knecht ansah, nur widerstrebend Rutherfords Vorstellungen ohne zu zweifeln annahm. So veröffentlichte Rutherford in der Watch Tower-Ausgabe vom 1. Januar 1927 einen Artikel, der offenbar Russells Ruf schädigen sollte. Unter anderem hieß es in dem Artikel: “Es ist das Vorgehen des Feindes, den Menschen von Gott abzuwenden, indem er ihn zur Verehrung eines anderen Menschen veranlaßt; und dadurch mag der Mensch in eine Falle des Teufels geraten.”79

Kurz darauf, im Februar desselben Jahres, gab die Gesellschaft die Vorstellung auf, daß Russell der treue und kluge Knecht gewesen war; in Zukunft sollte “jener Knecht” als der Überrest der Erwählten Gottes auf Erden angesehen werden — jene Personen aus den 144.000 Heiligen, die noch nicht mit Christus in himmlischer Herrlichkeit vereint waren.80

Während Rutherford Russells Gedächtnis und seine Lehren in Verruf brachte, vermehrte er seine eigene Machtfülle. Wie Timothy White so überzeugend nachweist, wenn er auszugsweise aus dem Watch Tower zitiert, tat Rutherford dies: Er änderte die Definition des Begriffes “Gesellschaft”, die jetzt die gesamte Bibelforschergemeinde meinen sollte — praktisch die Kirche. Gemäß White brachte Paul Johnson 1919 und 1920 einen Artikel in Umlauf, betitelt “Die Kirche im Verhältnis zur Gesellschaft organisiert.” In diesem Artikel argumentierte Johnson, die Gesellschaft sollte der Knecht der Kirche (die Bibelforscher) sein anstatt ihr Herr. Als Antwort gab Rutherford seiner Überzeugung Ausdruck: “Während die Gesellschaft eine Körperschaft ist, die Funktionäre und Knechte erforderlich macht, bilden diese allein nicht die Gesellschaft. In einem weiteren Sinne ist die Gesellschaft aus denChristen zu einer Ordnung unter der Leitung des Herrn dazu organisiert, sein Werk auszuführen.” Mit dieser Definition erhob Rutherford, wie White behauptet, den Anspruch, wenn er doch der Präsident der Gesellschaft war, in Wirklichkeit auch “der Präsident der Kirche zu sein.”81 Obwohl der Richter es nicht wagte, diesen Anspruch auszusprechen, hatte die Gesellschaft im Jahre 1940 diese Tatsache bereits offen anerkannt. In Consolation (The Golden Age unter neuem Namen; deutsch: Trost) hieß es: “Die Theokratie wird gegenwärtig durch die Watchtower Bible and Tract Society ausgeübt, deren Präsident und Leiter Richter Rutherford ist.”82

Der neue Name

Während der Jahre nach 1919 bezeichneten Rutherford und seine Gefolgschaft Mitbibelforscher, die nicht mehr die Anweisungen der Gesellschaft akzeptierten, als “bösen Knecht”, als “Judas-Klasse” und “Delilah-Klasse”. Dennoch betrachteten viele Wachtturm-Bibelforscher solche Personen als Brüder in Christus. Um nun seine Anhänger deutlicher von den vielen unabhängigen Bibelforschern abzusetzen, las er am 26. Juli 1931 um 16:00 Uhr vor einem versammelten Wachtturm-Kongreß in Columbus im Bundesstaat Ohio eine Resolution vor, in der sie aufgefordert wurden, einem neuen Namen zuzustimmen: “Jehovas Zeugen”.83

Die Argumente, zu denen der Richter griff, waren ein Meisterstück an falscher Logik und schlechter Auslegung. So benutzte er beispielsweise Jesaja 62:1, 2 aus Rotherhams Übersetzung, um zu zeigen, daß Gottes Volk schließlich einen “neuen Namen” erhielte. Doch wie Timothy White anmerkt: Hätte er sich die Mühe gemacht, die nächsten zwei Verse weiterzulesen, dann wäre ihm aufgefallen, daß der neue Name “Hephzibah” lautete und nicht “Jehovas Zeugen”.84 Dennoch war die Wahl des neuen Namens ein kühner Geniestreich von seiten Rutherfords. Wahrscheinlich vor allem anderen verlieh er den Wachtturm-Anhängern eine Bekanntheit und Einzigartigkeit wie nichts sonst. Er diente auch als wichtiger psychologischer Bruch mit Russell und den früheren Bibelforschern und war ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine stark zentralistische “theokratische” Ordnung unter Rutherford und seinen handverlesenen Nachfolgern. Natürlich erregte er bei einigen Bibelforschern, die früher der Gesellschaft gegenüber loyal waren, Anstoß; praktisch bedeutete er die Annahme eines Sektennamens entgegen einer von Russells tief empfundenen Lehren. Aber Rutherford wollte ohne Zweifel, daß solche Personen sich unterwarfen oder die Bewegung verließen. Für den Richter war jeder, der nicht vollkommen für ihn war, gegen ihn – und auch gegen Jehova.

Eine theokratische Herrschaft bildet sich heraus

Änderungen in den Lehren der Bibelforscher in Hinsicht auf Eschatologie, Charakterentwicklung und den treuen und klugen Knecht veranlaßten viele, die Bewegung zu verlassen.85 Allein der Artikel “Die Geburt einer Nation” im Jahre 1925 veranlaßte offensichtlich viele dazu.86 Doch solange Ortsversammlungen oder Ekklesias von ihren eigenen Ältesten geleitet wurden und ihre Angelegenheiten selbst regelten, konnten sie, wenn sie das wollten, die meisten Erklärungen Rutherfords ignorieren und doch in Gemeinschaft mit anderen Bibelforschern bleiben. Daher beschloß Rutherford, die Herrschaft über die Ältesten zu übernehmen, oder wenn das nicht funktionierte, sie als Klasse abzuschaffen.

Wie oben angemerkt, griff er zu dem Argument, die Gesellschaft (die gesamte Bibelforschergemeinde) sei geweiht, in den “letzten Tagen” ein großartiges Zeugnis- oder Predigtwerk durchzuführen. Folglich widersetzte sich jeder, der gegen das Werk der Gesellschaft (der Watch Tower Bible and Tract Society) war, wie es durch ihren Präsidenten angeordnet wurde, dem Willen Gottes. So glaubte er, Älteste der Ortsversammlungen, die sich weigerten, mit den Anordnungen aus Brooklyn Schritt zu halten, seien “aufgeblasen”, “selbstgefällig” und eine Menge anderer Schimpfnamen, die Rutherford ihnen zu geben pflegte.87

Der Richter war zu weise, die Ältesten einfach anzugreifen, ohne andere zu haben, die er an ihre Stelle setzen konnte. In den Jahren von 1919 bis 1932 vermehrte er allmählich seine Kontrolle über die Ortsversammlungen der Bibelforscher, indem er neue, von der Gesellschaft angeleitete Predigttätigkeiten entwicklete, die unter die Aufsicht von Dienstleitern gestellt wurden, die zuerst ernannt worden waren, um 1919 die Zeitschrift The Golden Age zu verteilen. Unter diesen neuen Tätigkeiten waren unter anderem die Verbreitung der verschiedenen Kongreßresolutionen und, angefangen mit dem Jahr 1926, die Verbreitung der Wachtturm-Literatur von Haus zu Haus. Was Rutherford folglich tat, war dies: Er baute ein Korps von der Gesellschaft hörigen Predigtdienstleiter in jeder Versammlung auf. Sie wurden zwar von den Ekklesias am Orte benannt, aber sie wurden von der Gesellschaft ernannt, und sie neigten dazu, Rutherford und der Gesellschaft gegenüber in jeder Hinsicht loyal zu sein.88

Gleichzeitig beschloß Rutherford, die Autonomie der Versammlungen zu schwächen, indem er das Wesen der Zusammenkünfte am Orte änderte. Er regte an, daß die traditionellen Gebets- und Zeugnisversammlungen der Bibelforscher in zwei Teile geteilt wurden, von denen einer zur “Dienstversammlung” wurde – fast ausschließlich dazu da, das öffentliche Predigtwerk zu fördern. Von öffentlichen Ansprachen oder Predigten zu verschiedenen Themen, die sich die Ältesten aussuchten, wurde abgeraten, während zum Frage-und-Antwort-Studium des Wachtturms geraten wurde. So erlangte der Richter allmählich und subtil immer mehr Kontrolle über die geistige Speise, die die Bibelforscherversammlungen vorgesetzt bekamen.89

Rutherford und seine Gefolgschaft waren noch 1932 von der Unabhängigkeit einiger Ältester und ihrer mangelnden Bereitschaft irritiert, ohne zu fragen die Diktate der Watch Tower Bible and Tract Society hinzunehmen. Nach langen Diskussionen beschloß der Richter, das Problem zu lösen, indem er die Ältesten abschaffte. So erschien im Watchtower vom 1. Februar 1932 ein Brief – offensichtlich im Hinblick auf die kommenden Ereignisse plaziert – von Charles Morrell, einem langjährigen Bibelforscher und Privatsekretär des Richters am Canadian Supreme Court, Sir Lyman Duff. In dem Brief, der auf der Seite 47 erschien, hieß es:

Die folgende Frage wurde uns zugesandt, sowohl zur näheren Betrachtung wie zur Beantwortung, und wie ich vermute, wird man, wenn sie sich als vernünftig erweist, zur gegebenen Zeit im Watch Tower darauf zurückkommen.

Im wesentlichen sagt der Apostel, der heilige Geist habe die Ältesten zu Aufsehern der Herde Gottes gemacht. Da nun der Herr selbst die Oberaufsicht in Zion hat, gibt es noch eine Rechtfertigung für den Dienst von Ältesten?

Anders ausgedrückt: War es nicht die Absicht des Herrn, die Rechtsprechung der Ältesten auf die Zeit der Abwesenheit des Herrn Jesus Christus von der Erde zu begrenzen, beginnend mit seiner Himmelfahrt und der Ausgießung des heiligen Geistes als Führer oder Lehrer und der Ankunft Jesu Christi in seinem Tempel?

Ein äußerlicher Beweis dafür mag darin liegen, daß Raum für beträchtliche Kritik der Ältesten in den letzten Jahren bestand, besonders seit 1922. Aufgefordert zum Dienst, haben sich viele als “Dorn im Fleisch” der Gesellschaft, der Direktoren, der Dienstorganisation und der treuen Arbeiter erwiesen. Ihre Wahl, angeblich den “Willen des Herrn” durch den heiligen Geist ausdrückend, hat sich häufig als “dem Sinnen des Herrn”, wie es sich durch die Gesellschaft äußert, entgegengesetzt erwiesen.

Würde nicht das Zurückziehen des heiligen Geistes das Ende der Herrschaft über die Kirche “von unten nach oben” bedeuten, und die Ankunft des Königs in seinem Tempel die Herrschaft über die Kirche von “Thron herab”? Und wenn das so ist, haben wir da nicht eine zweigeteilte Organisation, beherrscht “vom Thron herab” und “von unten nach oben”?

Wenn dies so ist, wäre es da nicht im Interesse des Königreiches, und auch biblisch richtig, die Ältesten und Diakone völlig zu dispensieren und durch Lehrer zu ersetzen, die in derselben Weise ernannt sind wie die Direktoren?

In christlicher Verbundenheit bin ich durch Seine Gnade

Euer Bruder

Charles Morrell, Ontario.

In direkter “Antwort” auf Morrells Fragen wurde in den Watch Tower-Ausgaben vom 15. August und 1. September 1932 die Abschaffung der Wahlältesten in den Versammlungen gefordert; man ging sogar so weit, zu behaupten, das Ältestenamt sei eindeutig unbiblisch. Damit war ein System demokratisch gewählter Ältester und Diakone, das über fünfzig Jahre bestanden hatte, zu seinem Ende gekommen. Von nun an behandelten die Publikationen der Gesellschaft die früheren Wahlältesten mit Verachtung. Sie wurden als “hochmütig” und “faul” bezeichnet, als “in den meisten Fällen zumindest unwillig, sich am Werke des Predigens der guten Botschaft von Christi Königreich zu beteiligen”.90 Tatsächlich war ihre Hauptsünde ihre Weigerung gewesen, willig unter Richter Joseph Franklin Rutherford zu buckeln.

Für eine bestimmte Zeit wurden die Dienstkomitees, die die Ältesten und Diakone ersetzten, von den Ortsversammlungen gewählt. Doch 1938 wurden dann alle Funktionäre oder “Diener”, wie sie inzwischen hießen, durch die Watch Tower Society ernannt. An die Stelle von Demokratie in den Versammlungen war die theokratische Herrschaft getreten. Die Bibelforscher, jetzt Jehovas Zeugen, waren ein Heer von Evangelisten geworden. Selbst die Namen, die sie verwendeten, waren militärischer Natur. Sie sollten ihre Versammlungen nicht mehr als “Klassen”, “Ekklesias” oder “Kirchen” bezeichnen, wie sie es so lange getan hatten; jetzt waren es “Kompanien” unter “Kompaniedienern”, den Nachfolgern der Dienstleiter. Kolporteure waren nun Vollzeitevangelisten, die “Pioniere” hießen, von denen viele als “Scharfschützen” in einem geistigen Krieg gegen den Teufel und sein System gedient hatten.

Zunehmende Entfremdung von der Allgemeingesellschaft

Andere bedeutsame Änderungen unter Rutherford als Präsidenten tendierten dazu, die Bibelforscher/Zeugen zu größeren sozialen Sektierern zu machen, oder wie Werner Cohn sie beschrieben hat, “proletarischer” im ursprünglichen marxistischen Sinne des Wortes.91 Praktisch wurden sie im psychologischen Sinne gründlicher vom Rest der Gesellschaft isoliert und entfremdet; eine Gemeinschaft, die in größeren Gesellschaften lebte und arbeitete, aber nicht an ihnen teilhatte.

So gelangte Richter Rutherford beispielsweise zu der Überzeugung, weniger Menschen würden auferstehen, als Russell geglaubt hatte. Der Pastor, im allgemeinen ein warmherziger und freundlicher Mensch, hatte nicht an eine universale Errettung geglaubt, kam diesem Gedanken aber sehr nahe. Doch als ein Schock für viele Bibelforscher stellte im Jahre 1923 der Wacht Tower unumwunden fest, für die Geistlichkeit der Christenheit gebe es keine Hoffnung.92 Später wurden abweichende Bibelforscher als “böser Sklave” und “Menschen des Verderbens” klassifiziert und damit auch zu ewiger Vernichtung verdammt.93 In den späten 1930er Jahren lehrte die Literatur der Gesellschaft in scharfem Kontrast zu den Ansichten Russells, daß Adam und Eva, Kain, die Bewohner von Sodom und Gomorrah, Salomo, die Schriftgelehrten und Pharisäer und eine Menge anderer auf ewig vernichtet waren. Überdies kam man zu dem Glauben, jeder, der nach 1918 die Botschaft der Zeugen Jehovas abgelehnt habe, und zusätzlich alle Kleinkinder einschließlich Säuglinge, die in Harmagedon sterben, hätten keine Auferstehungshoffnung.94 Und während altgediente Bibelforscher, die mit der Gesellschaft verbunden blieben, sich oft im stillen weigerten, diese Lehren zu akzeptierten, taten dies Neubekehrte, die allmählich die Handvoll Wachtturm-Getreuer aus Russells Tagen ersetzten und an Zahl übertrafen.

In den Watch Tower-Ausgaben vom 1. Juni und 15. Juni 1929 führte Rutherford auch eine neue Auslegung von Römer 13:1-7 ein, die Zeugen dazu brachte, den Staat als dämonisch und praktisch nicht der Rettung wert anzusehen. Im Jahre 1932 gaben er und die Gesellschaft eine lange Tradition auf, in der gelehrt wurde, die natürlichen Juden und der Zionismus nähmen in Jehovas göttlichem Heilsplan eine besondere Rolle ein; danach wurden die Zeugen selbst als das einzige Israel Gottes angesehen.95 Und 1935 nahmen die Zeugen, ermutigt durch die Handlungsweise ihrer Brüder in Deutschland und durch eine Rede Richter Rutherfords, eine starre Haltung gegen den Fahnengruß und das Aufstehen beim Abspielen der Nationalhymne ein.96

Rutherford und die ihm Nahestehenden hatten auch auf andere Weise einen zunehmenden Einfluß auf die Zeugen. Der Richter war ein Mann mit starken Vorlieben und tiefen Vorurteilen. So hatte er als altmodischer Populist laut seine Sympathie für die Armen verkündet und in den Fußstapfen Russells generell seine Toleranz in Rassenfragen gezeigt. Doch merkwürdigerweise war seine äußerliche Sympathie für Juden und Farbige oft mit weißer Südstaatenbigotterie gegenüber diesen Gruppen gemischt. So hielt er z.B. in den frühen 1920er Jahren auf einem Bibelforscherkongreß in Winnipeg, Manitoba, eine prophetische Ansprache über die Rückkehr der Juden nach Palästina und rief dann aus: “Ich spreche von den Juden in Palästina, nicht von dem hakennasigen, buckligen kleinen Individuum, das an der Straßenecke steht und dir deinen letzten Cent aus der Tasche ziehen will.”97 Was Frauen angeht, war er ein gründlicher Weiberfeind. Er lebte seit Jahren von seiner Frau getrennt und haßte Feministen. So ging er sogar so weit, anzuregen, es sei unmoralisch, wenn christliche Männer Frauen mit einem Berühren des Hutes grüßten, aufstanden, wenn sie einen Raum betraten oder eine besondere Achtung für Frauen zeigten. Den Muttertag sah er als Feministenkomplott an. Doch vielleicht am erschreckendsten, er zitierte offen Kiplings Beschreibung einer Frau als “Büschel Haare und Sack voll Knochen”.98 Es war nicht überraschend, daß viele Zeugen besonders aus der Unterklasse, Arbeiter, die Werte des Richters, offen ausgesprochen oder indirekt gemeint, übernahmen.

Der Richter war auch manchmal ein nüchterner Mann, und Nüchternheit wurde im Leben eines Zeugen zur Regel. Weihnachten, Geburtstagsfeiern und andere beliebte Bräuche wurden als aus dem Heidentum kommend und als unchristlich bezeichnet, und damit durften sie nicht gefeiert oder begangen werden.99 Eine Zeitlang war selbst das Singen von Liedern während der Versammlung geächtet.100 Bärte, oft von Bibelforschern in Nachahmung Russells getragen, waren in den Wachtturm-Büros und Druckereien auf der ganzen Welt verboten.101 Ein Bart wurde als Zeichen von Eitelkeit angesehen, obwohl viele ältere Zeugen Rutherford in diesem Punkt nicht folgten und ihn weiter trugen.

Rutherford war nicht der einzige, der in den 1920er und 1930er Jahren Einfluß auf die Bibelforscher/Zeugengemeinde hatte, obwohl er sicher der wichtigste war. Clayton Woodworth folgte dicht als zweiter, und darum verdient er gleichfalls, beschrieben zu werden. Wie bereits gesagt, war Woodworth mehr als nur ein wenig exzentrisch. Folglich sollte er den Zeugen auf den Seiten der Zeitschrift The Golden Age, deren Herausgeber er war, einige sehr unorthodoxe Ideen aufdrängen. Unter anderem haßte er die amerikanische Ärztevereinigung, stritt die Theorie ab, Krankheiten könnten durch Bakterien verursacht werden, griff ständig die Pockenimpfung als schmutzigen Brauch an, Tiereiter in den Menschen zu injizieren, und führte einen Rachefeldzug gegen die Aluminiumindustrie. Nach Woodworth war Kochgeschirr aus Aluminium giftig.102 So übernahmen die Zeugen von ihm einige zusätzliche merkwürdige Einstellungen und Praktiken. Wenn Zeugenfamilien nach einem Essen in einem Restaurant oder Cafe schlecht wurde, pflegten sie ihr Unwohlsein Aluminiumkochgeschirr zuschreiben statt einer Lebensmittelvergiftung, obwohl das letztere wahrscheinlicher war.

Vielleicht das extremste Beispiel Woodworths ist die Schaffung eines neuen Kalenders für die Zeugen Jehovas. In den Ausgaben der Zeitschrift The Golden Agevom 13. März, 27. März und 10. April 1935 veröffentlichte er einen dreiteiligen Artikel mit der Überschrift “Der zweite Zeiger in Gottes Chronometer”. In seinem üblichen Eifer goß er verbales Gift über die Geistlichkeit der römisch-katholischen Kirche und bezeichnete dann praktisch alle Kalender, die gegenwärtig in Gebrauch sind, als vom Teufel. Nach einer gewundenen Besprechung verschiedener Bibeltexte und astronomischer Berechnungen stellte er auf der Seite 381 von The Golden Age vom 13. März seinen neuen “theokratischen” Kalender vor. Alle Monats- und Wochentagsnamen waren gegenüber den gebräuchlichen abgeändert. Zusätzlich sollte der Kalender mit der Kreuzigung anstelle der Geburt Christi beginnen, und neue Jahre sollten im Frühjahr anfangen. Und schließlich war auch die Anzahl der Tage in den neuen Monaten etwas geändert. Glücklicherweise war Richter Rutherford so vernünftig, nicht zuzulassen, daß Woodworths Kalender in Gebrauch kam.

Das Wachstum der Bibelforscher  bzw. Zeugengemeinde

Über die meiste Zeit der Amtszeit Rutherfords war das zahlenmäßige Wachstum der Bibelforscher/Zeugen erstaunlich gering; und dies besonders in Anbetracht der enormen Mengen an abgegebener Wachtturm-Literatur, der Anzahl der über Rundfunk verbreiteten Predigten Rutherfords und der Anzahl von Stunden, die eifrige “Königreichsverkündiger” bei Hausbesuchen verbrachten. Es gab vor 1928 praktisch überhaupt kein ständiges Wachstum, und während des folgenden Jahrzehnts nahm die Zahl der aktiven Verkündiger oder Prediger nur um 2,97 Prozent pro Jahr auf insgesamt 59.047 zu.103 Im Jahre 1938 nahmen nur 69.345 Personen am jährlichen Gedächtnismahl teil.104 In Zahlen ausgedrückt, konnte man also wohl kaum sagen, daß sie ein großer Erfolg geworden waren, und Rutherfords Feldzug des Jüngermachens hatte wahrscheinlich weit mehr Mitglieder aus der Öffentlichkeit abgestoßen als angezogen.

Ein wichtiger Faktor, der ein schnelleres Wachstum verhinderte, war, daß zwar zahlreiche Personen neu bekehrt wurden, aber fast ebenso viele Bibelforscher alter Prägung die Verbindung zur Gesellschaft kappten.105 Ständige Änderungen in der Lehre und der Kampf zwischen Richter Rutherford und den Ältesten veranlaßten viele, abzudriften; und als in den Jahren 1929 und 1930 eine aktivere, traditionelle “Russelliten”- Bewegung, die Dawn Bible Students Association, auf den Plan trat, schlossen sich ihr viele an.106 Wenn Zeugen Jehovas später nach einer liberaleren und traditionelleren Bibeforschergemeinde suchten, neigten sie zu dieser Gruppe.

Doch langsam begannen die Zeugen Jehovas, sich auszuweiten, und in den letzten Lebensjahren des Richters schlossen sich ihnen Tausende von Neubekehrten an. Für dieses Wachstum war eine Anzahl von Faktoren verantwortlich, die alle einer näheren Analyse wert sind. Darunter befinden sich die verbesserte Organisation unter der theokratischen Herrschaft, die Lehre von der Rechtfertigung des Namens Jehovas, die neue Lehre von der “großen Volksmenge” und gefährliche Weltverhältnisse aufgrund der Weltwirtschaftskrise, der Aufstieg des Faschismus und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Schließlich verlieh die standhafte Glaubenstreue der Zeugen während schrecklicher Verfolgung in den 1930er und 1940er Jahren ihnen einen Bekanntheitsgrad und eine Sympathie, die viele anzogen.

Die theokratische Herrschaft änderte das Wesen der Zeugengemeinde. Es wurden nicht nur die Kompaniediener und ihre Helfer direkt von der Gesellschaft ernannt, die örtlichen Kompanien wurden auch zu “Zonen” unter “Zonendienern” organisiert, die sie regelmäßig besuchten, um sie zur Predigttätigkeit zu ermuntern und “die Einheit des Werkes aufrechtzuerhalten”. Jeweils etwa zwanzig Versammlungen in einem bestimmten Gebiet wurden zu einer Zone zusammengefaßt, und von Zeit zu Zeit wurden Zonenkongresse veranstaltet. Die Zonen wiederum wurden zu Gebieten unter Gebietsdienern, die bei Kongressen die Zonen besuchten, organisiert. Am 1. Oktober 1938 wurden die Vereinigten Staaten in elf Gebiete aufgeteilt, die wiederum in 148 Zonen aufgeteilt waren.107 So brachte die theokratische Regierung die Schaffung eines voll entwickelten Systems hierarchischer Herrschaft mit “Dienern” mit sich, die Stück für Stück dieselbe Macht unter Jehovas Zeugen ausübten, wie die Erzbischöfe und Bischöfe es in der römisch-katholischen Kirche taten. Und diese Diener betonten, wie das nie zuvor in demselben Ausmaß getan worden war, daß jedermann predigen müsse, wenn er von der Wachtturm-Gesellschaft, und damit von Jehova, anerkannt werden wollte.

Im Jahre 1938 hatten nur noch wenige der unabhängiger gesinnten Bibelforscher Verbindung zur Watch Tower Society. Wer in irgendeiner Hinsicht der Theokratie widerstand, wurde als “Unruhestifter” gebrandmarkt und gemieden. Mit wenigen Ausnahmen bedeutete dies, daß die meisten Zeugen Jehovas das Predigtwerk von Tür zu Tür und alles, was im Wachtturmveröffentlicht wurde, voll und ganz unterstützten. Eine ältere Zeugin aus Kalifornien sagte dazu: “Wenn im Wachtturm stehen würde, der Mond sei aus grünem Käse gemacht, so würde ich das glauben.” Glücklicherweise ging man im Wachtturm nicht so weit, so etwas zu behaupten; doch wenn die Wachtturm-Gesellschaft die Zeugen dazu anleitete, unter allen Umständen einen ständigen Evangelisierungsfeldzug durchzuführen, so waren die Zeugen bereit, bis selbst in den Tod Gehorsam zu leisten. Wen wundert es da noch, daß die Nationalsozialisten sie als eine gefährliche und rivalisierende politische Bewegung betrachteten.108

Die Rechtfertigung des Namens Gottes

Ein wichtiger Faktor hinter einem derartigen Eifer war die Lehre von der Rechtfertigung des Namens Jehovas; etwas, das die Zeugen Jehovas noch heute lehren. Unter Russell war das Loskaufsopfer Christi, das man als Ausdruck der Liebe Gottes zur Menschheit ansah, die zentrale Lehre der Bibelforscher gewesen. Folglich sahen Russell und die Bibelforscher in seinen Tagen das Neue Testament als wichtiger an als das Alte Testament. Sie wiesen zwar hin und wieder auf den Zorn Gottes hin, aber das war nicht eine ihrer zentralen Lehren. Unter Rutherford änderte sich das alles. Auf der Seite 320 seines im Jahre 1934 herausgegebenen Buches Jehovah stellte er unumwunden fest: “Gott sorgte dafür, daß der Tod Jesu Christi, seines geliebten Sohnes, den Opfer- oder Erlösungspreis für die Menschen darstellen sollte; aber diese Gnade und liebende Güte gegenüber der Menschheit ist im Vergleich zur Rechtfertigung seines Namens zweitrangig.” Der Richter betonte, wie Gottes Zeugen im Laufe der Geschichte durch ihre Treue gegenüber ihrer Aufgabe einen Anteil an der Rechtfertigung des göttlichen Namens gehabt hatten. Aber die letztendliche Rechtfertigung des Allmächtigen käme in Harmagedon, wenn die Bösen vernichtet würden. In allegorischer Auslegung argumentierte Rutherford, daß Jehova dadurch, daß er in den Tagen des alten Israels seine Rache an den Bösen geübt hatte, einfach im Beispiel aufzeigen würde, was er in den letzten Tagen dieser bösen Welt täte. So wurde es zur entscheidenden Wichtigkeit, daß die Menschen wählten: Sie müßten sich Jehova, Christus und der Theokratie anschließen, andernfalls würden sie mit dem Teufel und seinem System in der Schlacht des großen Tages Gottes, des Allmächtigen, untergehen.

Interessanterweise war die Lehre von der Rechtfertigung des Namens Jehovas in vieler Hinsicht wie Johannes Calvins Lehre von der Majestät Gottes. Und gleichfalls interessant, dies war zweifellos ein wichtiger Faktor für die Zeugen des 20. Jahrhunderts, einen brennenden, fast schon fanatischen Eifer zu entwickeln, wie es Calvins Lehre unter seinen Anhängern im 16. Jahrhundert bewirkt hatte. Das bedeutete, daß die Zeugen, wie die Calvinisten jener Zeit, immer intoleranter gegenüber allem und allen wurden, die nicht in Übereinstimmung mit Gottes neuer Nation, der Theokratie, wie sie sie sahen, waren.

Der Angriff auf die Religionen

Verbunden mit der Lehre von der Rechtfertigung des Namens Jehovas war eine erbitterte Schmähkampagne gegenüber allen, die die Zeugen als Gottes Feinde betrachteten. Richter Rutherford und die mit ihm eng Verbundenen vergaßen nie das Trauma der Jahre 1918 und 1919. So goß er bis zu seinem Tod im Jahre 1942 eine Reihe erbitterter Angriffe auf die Geschäftswelt, die Politik und die Religion aus – “die drei Hauptwerkzeuge des Teufels”. Soweit der Kapitalismus betroffen war, haßte der Richter ihn wie schon vor ihm Russell, und man kann irgendwie verstehen, daß die Bibelforscher und die Zeugen der 1930er Jahre gelegentlich der Sympathie zum Marxismus oder zumindest zum Sozialismus beschuldigt wurden.109 Der Richter hatte für linke Politik jedoch nicht mehr übrig als für andere; alle, so behauptete er, würden in Harmagedon vernichtet. Doch weder die Geschäftswelt noch die Politik mußten die verbalen Verunglimpfungen einstecken, mit denen Rutherford, Woodworth und die Zeugen die Kirchen, und insbesondere die Geistlichkeit, bewarfen.

Rutherford machte ganz zu Recht die Geistlichkeit für seine Verhaftung im Jahre 1918 verantwortlich, und obwohl er sicher auch dem Protestantismus und dem Judaismus gegenüber negativ eingestellt war, behielt er die ausgesuchtesten Schimpfwörter für die Priester und die Hierarchie der römisch-katholischen Kirche auf. Beispielsweise stellte der Richter in seiner typischen Art in dem Buch Feinde fest: “Allen Organisationen auf Erden, die Gott und seinem Königreich gegenüber gegnerisch eingestellt sind, gebührt daher notwendigerweise die Bezeichnung ‘Babylon’ und ‘Hure’, und diese Bezeichnungen treffen besonders auf die führende religiöse Organisation, die römisch-katholische Kirche, zu, die die Mutter der sogenannten ‘christlichen Religion’ zu sein beansprucht. Diese mächtige religiöse Organisation, die in der Schrift vorhergesagt ist, benutzt die Methoden von Huren, um Politiker und den Handel und andere zu verführen, ihr in die Arme zu fallen und sich ihren angeblichen Reizen zu unterwerfen.”110

Rutherfords Angriffe wurden immer giftiger, insbesondere, als die schreckliche Verfolgung der Zeugen in Nazideutschland, Italien, Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten einsetzte. Schließlich benutzte er den Begriff “Religion” allmählich, wenn er die falscheReligion meinte, die er öffentlich als “Schlinge und Gimpelfang” verurteilte.111 Und je schlimmer Rutherfords Ausfälligkeiten wurden, um so lieber veröffentlichten die Zeugen sie.

Als der Richter Mitte der 1930er Jahre als Folge des Drucks von seiten der Geschäftswelt wie auch der Kirchen in Kanada und der Vereinigten Staaten112 aus dem Äther gedrängt wurde, produzierte die Watch Tower Society Phonographenaufnahmen seiner zunehmenden Anprangerungen, die auf tragbaren Phonographen abgespielt wurden, die bereitwillige Zeugen Jehovas von Tür zu Tür trugen. Zu anderen Gelegenheiten pflegten dieselben Zeugen Rutherfords Reden über Lautsprecher zu übertragen, oft vor erbosten Katholiken. Einmal gingen sie in der Provinz Quebec so weit, einen kugelsicheren Wagen zu bauen – von dem es noch verschiedene Bilder gibt – von dem aus sie zweisprachig die Verurteilung der römisch-katholischen Kirche vor feindseligen Menschenmengen verbreiten konnten.

Bei anderen Gelegenheiten fielen die Zeugenverkündiger zu Hunderten in feindlich gesinnte Städte ein, oft unter Verletzung örtlicher Vorschriften gegen das Hausieren und in Erwartung drohender Massenverhaftungen.113 Schließlich pflegten große Mengen von ihnen, Jung und Alt, männlich und weiblich, durch die Städte der englischsprechenden Welt zu ziehen, sogenannte “Informationsmärsche”, wobei sie sowohl ihren Mut als auch ihre Verachtung für “Satans” Welt zur Schau trugen. Eine lange Menschenkette bildend, marschierten sie dann durch geschäftige Hauptstraßen und trugen Schilder und Plakate, auf denen von Richter Rutherford gemünzte Slogans standen wie “Religion ist eine Schlinge und ein Gimpelfang” und “Dient Gott und Christus, dem König”.114

Natürlich empfanden viele das Verhalten der Zeugen als beleidigend und bizarr. Doch ihre ständigen Angriffe auf die Geschäftswelt, die Politik und die Religion zogen auch viele an. Während der 1920er Jahre und der Weltwirtschaftskrise lobten viele Gewerkschaftsführer Rutherford wegen seiner Angriffe auf das Big Business.115 Gewerkschaften, Liberale und Sozialisten bewunderten seine ebenso schweren Beschimpfungen von Mussolini, Hitler, France und den Rechten auf der ganzen Welt. Tausende von Protestanten und Antiklerikern goutierten alles, was die Zeugen über die römisch-katholische Hierarchie zu sagen hatten und bewunderten ihren Mut dazu. Schließlich, als Jehovas Zeugen oft offen und mutig das Märtyrertum suchten und erlitten, begannen auch ihre Feinde ein Maß an Achtung vor ihnen zu entwickeln.

Die große Schar

Wahrscheinlich am meisten zu dem schnelleren Wachstum der Zeugengemeinde in den letzten Jahren Rutherfords trug die neue Lehre über “die große Schar” bei. Fast vom Beginn seines Dienstes an hatte Pastor Russell gelehrt, daß die Bibelforscher zu einer auserwählten Klasse von 144.000 Personen gehörten, die in Offenbarung 7 und 17 erwähnt werden und die als Priesterkönige mit Christus während des Tausendjahrreiches herrschen sollten. Darüber hinaus betonte er, daß die überwiegende Mehrheit der Menschen durch eine Auferstehung vollkommenes Leben in einem wiederhergestellten Paradies auf der Erde ererben würden. Aber neben diesen “Auserwählten”und der Mehrzahl der erretteten Menschen, so hatte der Wachtturm gelehrt, gab es noch eine dritte Gruppe, die “große Schar” aus Offenbarung 7:9, die auf einer etwas niedrigeren Stufe himmlisches Leben erhielte. Im Wachtturm wurde 1923 auch erklärt, daß es eine in Matthäus 25:31-46 erwähnte “Klasse von Schafen” gebe, die zur Zeit des Endes von den “Ziegenböcken” getrennt würden. 1932 sagte Rutherford, diese “Schafe” würden durch den Rechabiterhäuptling Jonadab dargestellt, der sich König Jehu in Israel zur Zeit der Vernichtung der Baalspriester von Königin Isebel angeschlossen hatte.116

Solche Vorstellungen waren komplex, und noch wichtiger: Sie bedeuteten, daß die Zeugen ihr Predigtwerk nur im Hinblick auf das Einsammeln der 144.000 Auserwählten Gottes sahen. Jehova selbst würde an den anderen Menschenklassen zur gegebenen Zeit handeln. Das alles änderte sich dramatisch, als der Wachtturm-Präsident im Frühjahr 1935 in Washington, D.C., eine Rede hielt, in der er argumentierte, die “große Schar”, die “Schafe” aus Matthäus 25 und die “Jonadabe” seien alle ein und dieselbe Klasse, die ewiges Leben auf der Erde als Belohnung für ihren Glauben und ihren Gehorsam gegenüber Christi Königreich erhielten.(117)Daraufhin glaubten die Zeugen, daß sie nun große Mengen von Menschen in Gottes Organisation versammeln mußten, so daß diese vor der unmittelbar bevorstehenden Schlacht von Harmagedon zu Leben auf einer neuen Erde errettet würden. Statt nur zu predigen, um die Auserwählten einzusammeln und das kommende Weltende zu verkündigen, begannen sie noch konzentriertere Bemühungen, um Bekehrte zu gewinnen.

Rutherfords Leben und seine letzten Lebenstage

Einige Zeit, nachdem er Präsident der Watch Tower Society geworden war, wurden Richter Rutherford und Mary, seine Frau, in aller Stille geschieden. Obwohl sie von älteren Zeugen als “Halbinvalidin” geschildert wird, “die ihren ehelichen Pflichten gegenüber dem Richter nicht nachkommen konnte”, wurde die Scheidung durch mehr als ihre Gesundheit oder seine Arbeit verursacht. Sie hatten sich einander entfremdet und waren offensichtlich gegenüber einander verbittert, obwohl eigentlich unklar ist, warum. Vielleicht hatten Rutherfords cholerisches Temperament und sein offenbar schwerer Alkoholismus den Unfrieden bewirkt.

Obwohl die Zeugen Jehovas fast alles ihnen mögliche getan haben, um Berichte über die Trinkgewohnheiten des Richters verschwinden zu lassen, sind sie einfach viel zu bekannt, als daß sie sich leugnen ließen. Frühere Mitarbeiter in der New Yorker Weltzentrale der Wachtturm-Gesellschaft erzählen immer wieder Geschichten von seiner Trunksucht und seinem völligen Betrunkensein. Andere berichten, wie schwierig es manchmal war, ihn wegen seiner Trunkenheit auf das Podium zu bringen, damit er auf Kongressen Reden halte. In San Diego, Kalifornien, wo er ab 1930 bis zu seinem Tod seine Winter verbrachte, spricht eine ältere Dame immer noch davon, wie sie ihm große Mengen Likör verkaufte, als er in die Drogerie ihres Mannes kam, um Arzneimittel zu kaufen. Aber der vielleicht vernichtendste Bericht über seine Trinkgewohnheiten erscheint in einem offenen Brief an ihn vom ehemaligen Zweigaufseher von Kanada, Walter Salter.

Seit Jahren war Salter ein enger Freund und Vertrauter des Richters, aber im Jahre 1936 brach er wegen Lehrpunkten mit ihm und wurde ausgeschlossen. So veröffentlichte er am 1. April 1937 den eben erwähnten Brief, der eine vernichtende Anklage gegen Rutherford war und der wenigstens in groben Zügen recht genau ist. Demgemäß behauptete Salter, daß er “für US-$ 60,00 pro Kiste Whisky” für den Wachtturm-Präsidenten gekauft habe, sowie Kisten mit Brandy und anderen Likören, nicht zu reden von ungezählten Kisten Bier”, alles vom Geld der Gesellschaft. Damit niemand denken mochte, das, was er gekauft hatte, sei für andere, stellte der ehemalige kanadische Zweigaufseher fest: “Eine Flasche Likör oder so reichte nicht; es war für den PRÄSIDENTEN, und nichts war für den PRÄSIDENTEN zu gut.” Dann, nachdem er Rutherfords pompösen Lebensstil beschrieben hatte, sagte Salter mit bitterer Ironie: “Und, o Herr, er [Rutherford] ist so mutig und sein Glaube an Dich ist so groß, daß er sich hinter vier Wände zurückzieht oder sich buchstäblich mit einer bewaffneten Leibwache umgibt und seine Träume herausbrüllt . . . und schickt uns von Tür zu Tür, um dem Feind gegenüberzustehen, während er ‘von Trunk zu Trunk’ geht und uns erzählt, wenn wir nicht gingen, würden wir vernichtet.”

Soweit es seine persönliche Unterkunft und das leibliche Wohl anbelangt, erzählt Salter, lebte Rutherford wie ein Industriebaron. In New York mietete er während der Weltwirtschaftskrise ein Appartement mit luxuriöser Möblierung, das Salter als mit Leichtigkeit US-$ 10.000 pro Jahr wert schätzte. Nebenher hatte der Wachtturm-Präsident noch eine “palastartige Residenz” auf Staten Island; “getarnt” als unentbehrlich für die Radiostation WBBR der Gesellschaft. Gleichfalls auf Staten Island unterhielt er eine kleine, abgeschlossene Residenz in den Wäldern, wo er sich selbst vor der Welt isolieren konnte. Dann wurden auch noch teure Quartiere an einer Anzahl weiterer Orte für ihn bereitgehalten, darunter London und vor dem Aufstieg der Nazis in Magdeburg. Als ob das noch nicht genug war, begann er im Jahre 1929 mit dem Bau von Beth Sarim, einem Landhaus in San Diego, das sein Aufenthaltsort für den Winter werden sollte.

Merkwürdigerweise fand Rutherford eine Ausrede für den Bau von Beth Sarim, die er zumindest teilweise selbst geglaubt haben mag. Nach der Auslegung von Psalm 45:16 (King James Version) durch die Gesellschaft — “An die Stelle deiner Väter werden deine Söhne treten; als Oberste wirst du sie einsetzen auf der ganzen Erde” — würde Christus Abraham, Isaak, Jakob, David und viele weitere vorchristliche Diener Jehovas auferwecken, damit sie die Menschheit während des Tausendjahrreiches regierten. Darüber hinaus war Daniel, gleichfalls einer der “Treuen der alten Zeit”, gesagt worden, daß er seinem Los “am Ende der Tage” entgegengehe, was nach der Wachtturm-Gesellschaft vor Harmagedon geschehen sollte. Richter Rutherford und die Gesellschaft kamen daher zu dem Schluß, daß diese treuen Männer der vorchristlichen Zeit jederzeit innerhalb der nächsten Jahre oder gar Monate zurückkehren konnten. Tatsächlich erwarteten viele gewöhnliche Zeugen die auferstandenen “Fürsten” zum nächsten größeren Wachtturm-Kongreß zurück. Wenn daher der Richter angeblich das Geld zum Bau von Beth Sarim auf einem fast einen halben Quadratkilometer großen Grundstück in San Diego spendete, hatte er “demütig” die Besitzurkunde für sich selbst ausstellen lassen — als Treuhänder für David und die anderen “Fürsten”, die schon bald einen angenehmen Wohnsitz brauchen würden.118

Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, mit einem recht großen Gefolge von Anhängern darin zu leben — mit einem seiner zwei Sechzehnzylinder-Cadillacs, die er gemäß bekannter Zeugenüberlieferung von einem wohlhabenden Gläubigen aus Iowa als “größter Mann auf Erden” erhalten hatte.

Trotz allem nahm Richter Joseph Franklin Rutherford auf merkwürdige Weise sich selbst und die Lehren, die er verkündete, ernst. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, schien er daher für ihn die Erfüllung apokalyptischer Prophetie zu sein, und er kam zu der Überzeugung, daß der Krieg direkt in die Vernichtung der Dämonen und der bösen Menschheit in Harmagedon münden würde. So begann er in seinem letzten Lebensjahr, als man ihm schon die unmißverständlichen Zeichen eines sehr kranken Mannes ansah, der an Krebs sterben würde, von Beth Sarim aus einen Teil der theokratischen Struktur, die er gerade erst aufgebaut hatte, zu zerlegen. Im Dezember 1941 gab er die Büros der Bezirks- und Zonendiener und die Gewohnheit auf, Zonenkongresse abzuhalten. Damals schrieb er: “‘Das seltsame Werk’ des Herrn [das öffentliche Predigtwerk] geht seinem Ende entgegen und erfordert Eile zusammen mit Wachsamkeit, Nüchternheit und Gebet.”119 Und doch bestand er darauf, daß jeder Zeuge in diesem Werk fortfahren sollte, bis Gott ihm Einhalt geböte. “Vollkommen entschlossen, dem Herrn zu gehorchen!, sagte er, “wollen wir uns von diesen Worten des Apostels leiten lassen: ‘Dieses eine Ding tue ich’, das heißt, die THEOKRATIE zu verkündigen.”120

Rutherfords Tod und Vermächtnis

Rutherford starb am 8. Januar 1942 in Beth Sarim nach langer Krankheit. Doch er starb immer noch tätig, oder wie seine Mitzeugen berichteten, “noch in den Stiefeln”.121 Er wollte an einer Felsschlucht etwa neunzig Meter unterhalb des Hauses der Fürsten begraben werden, das er so lang genutzt und genossen hatte, während er auf die Rückkehr der vorchristlichen “Treuen” der alten Zeit wartete,122 aber das sollte nicht sein. Das Gebiet war nicht für die Schaffung eines privaten Friedhofs eingeteilt, und die Nachbarn beklagten sich, wenn der Richter hier begraben werde, wo er es gewollt habe, dann würde dies den Wert ihres Besitzes mindern. So weigerten sich die örtlichen Beamten, das Begräbnis zu erlauben.123 Wachtturm-Publikationen behaupteten bitter, dies sei nur eine letzte Gehässigkeit der Organisation des Teufels gegen Jehovas treuem verstorbenen Sprachrohr124, und örtliche Zeugen lieferten sich einen ausgedehnten, dreimonatigen Kampf, um Rutherfords letzten Wunsch zu ehren.

Aufzeichnungen über den Fall zeigen, daß an den Wachtturm-Beschuldigungen eines religiösen Vorurteils wenig dran war.125 Außerdem legen faßbare Beweise nahe, daß die Nachbarn einigen Grund zur Sorge hatten. Denn statt Rutherfords Leiche in einem einfachen Felsschluchtgrab zu begraben, wie sie später behaupteten, wollten seine persönlichen Anhänger – die Beth Sarim-“Familie” – sie in einer großen, ziemlich imposanten Zementkrypta beisetzen, mit deren Bau sie begonnen hatten, als er im Sterben lag. So fürchteten die Nachbarn zweifellos, Rutherfords voraussichtliches Grab könnte zu einem Denkmal werden, das von Zeugen Jehovas aus Nah und Fern besucht werden würde.

Natürlich geschah dies nicht. Als Beamte in San Diego schließlich die Beerdigung Rutherfords in Beth Sarim verweigerten, wurden seine Überreste nach Rossville, New York, gebracht und dort beigesetzt.126 Und dort wurden sie schnell von allen außer ein paar engen Freunden vergessen. Die Berichte über den Versuch, ihn in Beth Sarim zu begraben, zeigen, daß weder hohe Wachtturm-Funktionäre noch seine Witwe oder Malcolm, sein Sohn, sich große Sorgen über seinen Ruheplatz machten, denn bei den öffentlichen Hearings zu dem Thema glänzten sie durch Abwesenheit. Noch mehr: Da der Richter selbst die Zeugen gelehrt hatte, nicht einem Menschen, sondern Jehovas Organisation, der Theokratie, gegenüber loyal zu sein, schworen sie bald ihre völlige Ergebenheit seinen Nachfolgern im Brooklyner Bethel. So weiß heute nur noch eine Handvoll Zeugen, die sechzig Jahre alt oder noch älter sind, etwas über den Mann, der ihre Organisatin neu formte, und noch weniger sind sich dessen bewußt, daß Beth Sarim und Rutherfords unvollendete Zementkrypta noch immer als Denkmäler an ihn dastehen — obwohl das Haus der Fürsten nicht mehr für alle gerechten Männer von Abel bis zu Johannes dem Täufer bereitsteht.

Richter Rutherfords wirkliches Denkmal ist jedoch keine Zementkrypta; es ist die Bewegung, die er nach Pastor Russells Tod als Hirte durch die dunkle Zeit des Ersten Weltkriegs führte und danach neu formte. In einem wirklichen Sinne war er es, und nicht der Pastor, der Jehovas Zeugen zu dem machte, was sie heute sind – eine Tatsache, auf die Anti-Wachtturm-Bibelforscher immer wieder hinweisen. Er war zwar ohne Zweifel ein harter, rücksichtsloser und häufig zänkischer Mann, dessen Argumentationsweise weit mehr von Kasuistik beherrscht war, als seine Mitzeugen gerne einräumen würden, doch es ist wahrscheinlich, daß nur jemand wie er die Grundlage dafür schaffen konnte, Jehovas Zeugen zu der bedeutenden, weltweiten Sektenbewegung zu machen, die sie heute sind.

Denn unter seiner rauhen Schale schien er wie Russell vor ihm geglaubt zu haben, daß er von Gott zu einer Mission bestimmt war. Trotz des Bibelforscher-Schismas, äußerer Verfolgung, eigener Verhaftung, und dem Fehlschlag, daß die Welt nicht 1918 oder 1925 endete, war er in der Lage, die Kontrolle über eine Gesamtheit von eifrigen Männern und Frauen aufrechtzuerhalten, die sich weiter auf das nahe Kommen der Offenbarung Christi und die Schlacht von Harmagedon freuten. Und es waren seine Härte und sein Organisationstalent, so unpopulär sie auch oft waren, die Jehovas Zeugen die eisengleichen Merkmale geben sollten, die sie gebrauchten, um die Verfolgung der 1930er und 1940er Jahre zu überstehen.

Wie William Whalen bemerkt hat, war Richter Joseph F. Rutherford für Pastor Charles T. Russell das, was Brigham Young für den Mormonenpropheten Joseph Smith war.127 Obwohl sowohl Smith als auch Russell fähige Religionsführer waren, waren beide doch ziemlich naive Visionäre, die – unter Verwendung fruchtbarer Vorstellungen – sich selbst wie auch andere irreführen konnten. Sowohl Young als auch Rutherford waren jedoch hartgesottene Pragmatiker, die der Bewegung, die sie beherrschten, ein Stück Dauer gaben. Während der Richter nur wenig Zeit oder Interesse für eine Frau, geschweige denn einen ganzen Harem, hatte, ähnelte er dennoch dem unerbittlichen Mormonenlöwen des Herrn in vielerlei Hinsicht – obwohl weder Jehovas Zeugen noch die Mormonen an diesem Vergleich Gefallen finden dürften.

Anmerkungen

1 – Die meisten Angaben über Rutherford stammen aus folgenden Quellen: Marley Cole, Jehovah’s Witnesses: The New World Society (New York: Vantage Press 1955); Timothy White, A People for His Name (New York: Vantage Press 1967); A. H. Macmillan, Faith on the March (Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall 1957); Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben (deutsch: Wiesbaden: Wachtturm-Gesellschaft 1960); Jehovas Zeugen  Verkündiger des Königreiches Gottes (deutsch: Selters: Wachtturm-Gesellschaft 1993); Akten des Justizministeriums im Verfahren Vereinigte Staaten gegen Rutherford et al. Im US-Nationalarchiv, Washington, DC.

2 – Der Circuit Court Record von Morgan County, Missouri, Buch 20, Seite 576 (17. Februar 1897); Buch 22, Seite 73 (3. Juni 1899); Buch 25, Seite 213 (15. März 1905) und Buch 25, Seite 213 (15. März 1905) läßt erkennen, daß Rutherford nur an den vier darin aufgeführten Tagen als besonderer Hilfsrichter tätig war, und daß ihm an zwei Tagen davon kein Fall zur Entscheidung vorgelegt wurde. Weitere Einzelheiten zu Rutherfords juristischer Karriere siehe Gérard Hébert, S.J., Témoins de Jéhovah (Montreal: Les Éditions Bellarmin 1960), Seite 44.

3 – Rutherford war Wahlhelfer Bryans, der 1896 Präsidentschaftskandidat der Demokraten in den Vereinigten Staaten war.

4 – Seite 68.

5 – Am 27. April 1926 schrieb George H. Fisher einen Brief an W. Nieman in Magdeburg und beschuldigte darin Rutherford, Al Jolson’s Winter Garden Theater besucht zu haben, um sich die Pariser Version der damals berüchtigten Show “Künstler und Modelle” anzusehen. Fisher hatte vor, Rutherford als Ehrenältesten jeder Bibelforscherekklesia vor die einzelnen Kirchen zu bringen, damit er dort zur Rechenschaft gezogen würde. Fisher behauptete, er habe die dazu notwendigen Zeugen. Doch Fisher starb im Juli desselben Jahres, und die Sache wurde nie weiter verfolgt. Nieman veröffentliche jedoch Fishers Brief und eine Analyse seiner Anklagepunkte in einem deutschen Faltblatt mit dem Titel “Bruder George H. Fisher”. Rutherfords nicht sehr überzeugend klingende Antwort auf Fishers Anklagen war, er sei zu sehr im Werke des Herrn beschäftigt, um sich mit der Antwort auf solche Kritik aufzuhalten, und überhaupt habe er Al Jolson nie in seinem Leben gesehen und wisse nicht, wie er aussehe. Siehe The Golden Age (4. Mai 1927), Seiten 505, 506.

6 – Auf der Grundlage einer Aussage von Peter Moyle in der Ausgabe des United Israel Bulletinvom Februar 1972 stellt David Horowitz fest: “Es war auch bekannt, daß Rutherford eine Vorliebe für Whisky und Frauen hatte, wenn es auch sorgfältig ‘bemäntelt’ wurde. Unabhängig von der Frage, ob ein Lebensstil mit solchen Vorlieben moralisch oder unmoralisch ist, steht es dem Führer einer christlichen Religionsgemeinschaft wohl nicht sehr gut an, solch ein Vorbild abzugeben; und viele seiner Anhänger hätten es auch nie für möglich gehalten.” David Horowitz, Pastor Charles Taze Russell: An Early Christian Zionist(New York: Philosophical Library 1960), Seite 65.

Es gibt Beweise, die diese Beschuldigung bekräftigen, obwohl keiner davon als schlüssig angesehen werden kann. Dr. Frank McLamb, Arzt und Spezialist für Knochenleiden in der Watch Tower-Weltzentrale in Brooklyn, der Rutherford während seiner schließlich tödlichen Krankheit behandelte, sagte mir persönlich gegenüber im Sommer 1993 aus, während der 1920er Jahre habe Rutherford North Carolina besucht und bei seiner (McLambs) Tante gewohnt. Diese Dame wies Rutherford ihr bestes Schlafzimmer zu, plazierte eine Reisebegleiterin, die offenbar als Sekretärin für den Richter tätig war, in einen separaten Raum. Als McLambs Tante jedoch am Morgen Rutherfords Bett machte, entdeckte sie eine Haarnadel darin. Sie war derart angewidert, daß sie sich dann weigerte, noch etwas mit der Wachtturm-Bewegung zu tun haben zu wollen.

Von Bedeutung ist auch ein Bericht des Psychologen Dr. Carl Thornton und seiner Frau. Danach war es in der Familie Thornton eine wohlbekannte Tatsache, daß Carl Thorntons Tante, die in der Mitschrift des Gerichtsverfahrens Moyle gegen Franz et al. fälschlich als Verna Peal bezeichnet wird, sowohl in der Wachtturm-Weltzentrale in Brooklyn als auch im Beth Sarim, dem Haus der Fürsten in San Diego, Kalifornien, Rutherfords Geliebte war. Angeblich war sie zwar Rutherfords Diätassistentin und Krankenschwester, doch nach den Worten der Thorntons war sie “in jeder Hinsicht wie eine Frau für ihn.”

Interessanterweise werden in der Mitschrift zum Prozeß Moyle gegen Franz et al. zahlreiche Fragen angeschnitten; aber keine davon bezieht sich direkt auf die Möglichkeit eines ehebrecherischen Verhältnisses zwischen Rutherford und ihr.

7 – Watch Tower, Reprints Seiten 5999, 6000.

8 – Ibid.

9 – Ibid, 1917, Reprints Seite 6035.

10 – Zu weiteren Einzelheiten siehe unten.

11 – Macmillan, Seiten 75, 76; Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1973, Seiten 100-105.

12 – Jahrbuch 1973, Seite 101.

13 – Ibid., Seiten 101-102.

14 – Ibid., Seiten 102, 103.

15 – Ibid., Seiten 103-105.

16 – Ibid., Seite 106; Jahrbuch 1975, Seite 88.

17 – Macmillan, Seiten 76, 77; Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 70; Jahrbuch 1975, Seite 88.

18 – Seiten 89, 90.

19 – J. F. Rutherford, Harvest Siftings  Part I (Brooklyn, NY: International Bible Students Association, 1917), Seite 17.

20 – Jahrbuch 1975, Seite 90.

21 – Watchtower 1906, Reprints Seite 3825.

22 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 70, 71.

23 – Rutherford, Harvest Siftings  Part II, Seite 30. Weitere Berichte über diesen Vorfall finden sich bei A. N. Pierson, J. D. Wright, A. J. Ritchie, I. F. Hoskins und R. H. Hirsh, Light after Darkness (Brooklyn, NY: Privatdruck 1917), Seite 9; Paul S. L. Johnson, Merarism (Philadelphia: Paul S. L. Johnson 1938), Seiten 73-84.

24. Macmillan, Seite 81.

25. Siehe Johnsons eigene Anmerkungen in Harvest Siftings Reviewed (Brooklyn, NY: Privatdruck 1917), Seite 8, wo er feststellt: “Es schien mir, als ob meine Erfahrungen in Großbritannien durch Nehemia, Esra und Mordechai dargestellt würden (Bruder Hemery glaubte, er stelle gegenbildlich Eljaschib und Hanani im Buch Nehemia dar): daß meine Legitimation in Esra 7:11-26 stände und in Esther 8:2, 15 symbolisiert sei. Ich kam zu dem Schluß, daß ich bevorrechtigt sei, der Verwalter und Bruder Russells Nachfolger zu werden.”

26 – Johnson, Harvest Siftings Reviewed, Seiten 83, 84; Pierson et al, Seiten 5, 6; Rutherford,Harvest Siftings — Part I, Seite 10; Alan Rogerson, Millions Now Living Will Never Die(London:Constable and Co, Ltd. 1969) Seiten 33, 34.

27 – Johnson, Harvest Siftings Reviewed, Seiten 82, 83; Pierson et al., Seiten 3, 4.

28 – Rutherford, Harvest Siftings — Part I, Seite 20.

29 – Ibid., Seite 16.

30 – Siehe “Aussage des Vizepräsidenten gegen die Führung vom August” in A. I. Ritchie, J. D. Wright, I. F. Hoskins und R. H. Hirsh, Facts for Shareholders of the Watch Tower Bible and Tract Society (Brooklyn, NY: Privatdruck 1917), Seite 5.

31 – Russells letzter Wille, wie er kurz nach seinem Tode veröffentlicht wurde, findet sich im Watchtower von 1916, Reprints Seiten 5999, 6000.

32 – Barbara Grizzuti Harrison, Visions of Glory: A History and a Memory of Jehovah’s Witnesses(New York: Simon and Schuster 1978), Seiten 118-120..

33 – William H. Cumberland, A History of Jehovah’s Witnesses (Dissertation, Universität von Iowa 1958), Seite 131.

34 – Pierson et al., Seite 4

35 – Harrison, Seiten 118-120.

36 – Cumberland, Seite 131.

37 – Rutherford, Harvest Siftings  Part I, Seiten 19, 20.

38 -. Ritchie et al., Seite 5.

39 – Ibid.

40 – Rutherford, Harvest Siftings — Part I, Seite 20; Johnson, Harvest Siftings Reviewed, Seite 19.

41 – Pierson et al., Seite 8.

42 – Ibid., Seite 6; Macmillan, Seiten 78-80. Die Berichte der entmachteten Direktoren und der von A. H. Macmillan darüber, was bei dieser Begebenheit passierte, stimmen miteinander überein, außer daß die geschaßten Direktoren behaupten, der Polizist habe sie nicht gezwungen, zu gehen, während Macmillan behauptet, er habe das wohl getan. Der Bericht aus Light after Darkness lautet wie folgt: “‘Officer, werfen Sie diese Leute hinaus!’ sagte der Vertreter des Präsidenten. ‘Vorwärts, meine Herren!’ sagte der Polizist zu den Direktoren. ‘Sie haben kein Recht, uns hinauszuwerfen, Officer’, erwiderte einer der Direktoren; ‘wir sind bei dieser Gesellschaft angestellt und stören niemanden und nichts.’ ‘Natürlich habe ich nicht das Recht, sie hinauszuwerfen!’ erwiderte der Polizist. ‘Ich sollte eigentlich gehen’; und weg war er.

Bei Macmillan liest sich das so: “Ich sagte ‘Officer, diese Männer haben hier nichts zu suchen. Sie sollten in 124 Columbia Heights sein, und sie stören uns hier bei unserer Arbeit. Sie haben sich geweigert, zu gehen, als wir sie dazu aufgefordert haben. Jetzt wollen wir uns eigentlich auf das Gesetz berufen.’Sie sprangen auf und begannen, zu argumentieren. Der Polizist wirbelte seinen Stock herum und sagte: ‘Meine Herren, jetzt wird es ernst. Die beiden da, Macmillan und Martin, kenne ich, aber euch kenne ich nicht. Nun geht ihr wohl besser, sonst gibts Ärger.’Sie nahmen ihre Hüte und gingen die Treppe hinunter, jeweils zwei Stufen auf einmal, und gingen Richtung Bezirksrathaus, um sich einen Rechtsanwalt zu nehmen.”

Was auch immer richtig ist, so räumt Macmillan ein, er wollte nicht, daß die Direktoren ein Quorum erlangten, um in Abwesenheit Rutherfords Geschäftsbesprechungen zu halten. Daher log Macmillan, als er sagte, die Direktoren störten in den Büros in der Hicks Street bei der Arbeit. Darüber hinaus erwähnt er nicht, daß die vier in der Hicks Street-Kapelle waren, als er die Polizei rief, um sie hinauszuwerfen.

43 – Pierson et al., Seite 10.

44 – “Ein offener Brief an das Volk des Herrn auf der ganzen Welt” und “Eine Petition an Bruder Rutherford und die vier abgesetzten Direktoren der W. T. B. and Tract Society”. Beide undatiert, 1917.

45 – Watchtower, 1918, Reprints Seiten 6197, 6198.

46 – Cumberland, Seite 118.

47 – Ritchie et al., Seite 3.

48 – Watchtower, 1917, Reprintes Seiten 6184, 6185.

49 – Rogerson, Seite 39.

50 – Eine Erörterung dieser Bewegungen seit 1918 findet sich bei Alan Rogerson, “Oui est schismatique?” in Social Compass, 24:1 (1917), Seiten 33-43; und J. Gordon Melton, The Encyclopedia of American Religion (Wilmington, NC: McGrath Publishing Co. 1978) Seiten 487-491.

51 – Die Standfasters glaubten auch, daß das Predigtwerk vorüber und die Tür zur “höheren Berufung” (der Heiligkeit der 1400.000) geschlossen war. Die “Präambel und Resolutionen der Stand Fast Bible Students Association” vom 1. Dezember 1918 begann mit den Worten: “Wohingegen jetzt, wo das Passah 1918 vorüber ist und daher die “Ernte” zu ihrem Ende gekommen ist, das “Evangeliumszeitalter” geendet hat, der “Weizen” eingesammelt ist, die “Heiligen” versiegelt sind und die “Tür” verschlossen ist . . .” Weitere Einzelheiten zur Standfast-Bewegung und der daraus entstandenen Gruppen siehe Johnson, Merarism, Seiten 731-749.

52 – The Golden Age (britische und kanadische Ausgabe), 29. September 1920, passim; J. F. Rutherford, Millionen jetzt Lebender werden niemals sterben (Magdeburg: ISBA 1920), Seite 83; M. James Penton, Jehovah’s Witnesses in Canada (Toronto: Macmillan of Canada 1976), Seiten 56-62.

53 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 74-78.

54 – Penton, Seiten 69-80.

55 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 81-83; The Golden Age (29. September 1920), passim.

56 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 83.

57 – Macmillan, Seiten 105, 106.

58 – Ibid., Seiten 107-109.

59 – Ibid., Seiten 112, 113.

60 – Watchtower, 1919, Seite 280; Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 89, 90.

61 – Russell hatte ausdrücklich festgestellt: “Da die Gesellschaft mir gegenüber im Worte ist, keine weiteren regelmäßigen Zeitschriften herauszugeben, bestimme ich auch, daß das Herausgeberkomitee in keiner Weise oder in keinem Maße für andere Publikationen schreiben oder mit ihnen in Verbindung gebracht werden soll. Ich lege dieses Erfordernis fest, um das Komitee und die Zeitschrift von jeglichem Geiste des Ehrgeizes oder Stolzes oder des Führungsstrebens zu bewahren, und damit die Wahrheit erkannt und für sich wertgeschätzt werden möge, und daß der Herr genauer als das Haupt der Kirche und als Quelle der Wahrheit erkannt werden möge.” Watchtower, 1916, Reprints Seite 5999.

62 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 95.

63 – Ibid., Seite 96.

64 – Penton, Seite 84.

65 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 96, 97.

66 – Ibid.

67 – Ibid.

68 – Rutherford, Millions Now Living Will Never Die [Millionen jetzt Lebender werden nie sterben], Seite 88.

69 – Rutherford, Die Harfe Gottes (Deutsch: 1922), Seite 216.

70 – Seiten 214-236 (Englische Ausgabe).

71 – Seite 57 (Englische Ausgabe).

72 – William J. Whalen, Armageddon around the Corner (New York: The John Day Company 1962), Seite 66.

73 – “Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet” (Wiesbaden: Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft 1969), Seiten 247-292, 333-348.

74 – Ibid. Siehe auch Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 101-111; und Jahrbuch 1975, Seiten 135-139.

75 – Jahrbuch 1975, Seite 192.

76 – Watchtower, 1925, Seiten 67-74.

77 – Watchtower, 1938, Seite 185. Siehe auch White, Seiten 186-188. Die anderen Mitglieder des Herausgeberkomitees – W. E. Van Amburgh, J. Hemery, R. H. Barber und C. E. Stewart – zählten alle zu Rutherfords treuer Gefolgschaft. Aber als sie gegen die Vorstellungen des Richters Einwände erhoben, glaubte dieser, sie würden gegen den Willen des Herrn handeln. In der obengenannten Ausgabe des Watchtower von 1938 schrieb er: “Im Watchtower vom 1. März 1925 wurde ein Artikel, ‘Die Geburt einer Nation’, veröffentlicht, was bedeuten sollte, daß das Königreich zu wirken begonnen hatte. Ein von Menschen geschaffenes Herausgeberkomitee sollte die Herausgabe des Watchtower kontrollieren, und die Mehrheit in diesem Komitee widersetzte sich unentwegt der Publikation des Artikels ‘Die Geburt einer Nation’, aber durch die Gnade des Herrn wurde er doch publiziert, und dies markierte wirklich den Anfang vom Ende des Herausgeberkomitees und zeigte an, daß der Herr selbst die Organisation leitet.”

78 – White, Seiten 181, 182.

79 – Seite 7.

80 – Watchtower, 1927, Seiten 51-57.

81 – Watchtower, 1921, Seite 329; White, Seiten 181, 182.

82 – Consolation, 4. September 1940, Seite

25. Artikel nicht in deutsch.

83 – Watchtower, 1931, Seiten 278, 279.

84 – White, Seite 260.

85 – Siehe die Abbildung auf Seite 68.

86 – Zweifellos hing viel von dem Ärger, der durch diesen Artikel verursacht wurde, mit dem Fehlschlag der Wachtturm-Prophezeiung über das Jahr 1925 und der allmählichen Ablehnung der Lehren Russells zusammen.

87 – Um sich vorzustellen, wie vollkommen Rutherford und die Funktionäre der Gesellschaft die Wahlältesten verachteten, braucht man sich nur eine Liste von Artikeln anzusehen, in denen sie unter solchen Überschriften wie “Bloßgestellt und unrein” und “Rebellisch” angriff: Watch Tower Publications Index 1930-1960. Seite 91.

88 – Jahrbuch 1975, Seite 165. Siehe auch William J. Schnell, Thirty Years a Watchtower Slave [Dreißig Jahre Sklave des Wachtturms] (Grand Rapids, MI: Baker Book House, 1956), Seiten 56, 57, 59.

89 – Das begann bereits im Jahre 1923. Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 104.

90 – Siehe beispielsweise Watchtower, 1938, Seiten 87, 233.

91 – Werner Cohn, “Jehovahs Witnesses as a Proletarian Movement” in The American Scholar, 24 (1955), Seiten 281, 282.

92 – Watch Tower, 1923, Seiten 310-313.

93 – Watch Tower, 1930, Seiten 275-281.

94 – Consolation, 6. Mai 1936, Seite 508; Watchtower, 1938, Seiten 313, 314, 326, 376, 377; 1939, Seite 170; J. F. Rutherford, Salvation, Seite 43.

95 – J. F. Rutherford, Vindication  Book II (1932), Seiten 257, 258.

96 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 143, 144.

97 – Basierend auf den Aufzeichnungen meines Vaters, Levis B. Penton, der damals anwesend war.

98 – Rutherford, Vindication  Book I, Seiten 155-157, 188, 189; The Golden Age (20. Juni 1934), Seite 594. Rutherford zitierte Kipling bei einem Wachtturm-Kongreß in St Louis, Missouri, im Jahre 1941 vor Tausenden von Zeugen Jehovas. Das erregte einigen Anstoß.

99 – Jahrbuch 1975, Seiten 147-149.

100 – Dieses Verbot wurde erst zwei Jahre nach Rutherfords Tod wieder aufgehoben. Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 215.

101 – Jahrbuch 1974, Seiten 97, 98.

102 – White, Seite 173. Ein eindeutiges Bild der Vorstellungen Woodworths kann man nur durch eine Untersuchung des Golden Age selbst gewinnen. Obwohl White Woodworth als “intelligent” bezeichnet, muß man seine seelische Stabilität bei der Herausgabe der vielen Dinge in Zweifel ziehen.

103 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 312.

104 – Ibid., Seite 313.

105 – Man kann unmöglich sagen, wie viele Bibelforscher aus den Tagen C. T. Russells schließlich die Verbindung zur Gesellschaft brachen, doch Rutherford selbst räumte ein, daß es viele waren. Watchtower, 1930, Seite 342. Siehe auch White, Seiten 251-258.

106 – When Pastor Russell Died, Seiten 24-30; Melton, Seite 491.

107 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 190.

108 – John S. Conway, The Nazi Persecution of the Churches 1933.1945 (Toronto: Ryerson Press 1968), Seiten 195-200.

109 – Penton, 128.

110 – Seite 198.

111 – Dies war der Titel einer weiteren Phonographenaufnahme Rutherfords.

112 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 134-140; Penton, Seiten 94-110.

113 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 133.

114 – Ibid., Seite 145.

115 – Penton, Seiten 98, 106.

116 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seite 140.

117 – Ibid.

118 – The Golden Age (19. März 1930), Seiten 404-407; Herbert H. Stroup, The Jehovah’s Witnesses(New York: Columbia University Press 1945), Seite 42.

119 – Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, Seiten 191, 192.

120 – Ibid.

121 – Ibid., Seite 194.

122 – The San Diego Union (12. Januar 1942), Seite 2A.

123 – The Tribune-Sun (San Diego), 21. Januar 1942, Seite 12; The San Diego Union, 21. Januar 1942, Seite 3A.

124 – Watchtower, 1945, Seite 45; Consolation, 4. Februar, Seite 17; 27. Mai, Seiten 3-16.

125 – Protokoll der regulären Zusammenkünfte der Planungskommission für das Gebiet (San Diego, Kalifornien) 24. Januar 1942, Seiten 229-235. Zusammenkunft der Kontrollbehörde (San Diego, Kalifornien), 26. Januar 1942, Nr. 63. Protokoll der Zusammenkunft der Planungskommission für das Gebiet, 28. Februar 1942, Seiten 240-243. Protokoll der Zusammenkunft der Planungskommission für das Gebiet, 14. März 1942, Seite 247.

126 – Whalen, Seite 67.

127 – Ibid.

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