„Zur Datierung der neuassyrischen Eponymenliste“
Redaktionelle Erklärung:
Die neuassyrische Periode wird traditionell auf ca. 934 – 609 v. Chr. datiert. Eine wichtige Grundlage für diese Chronologie ist der so genannte “Eponymenkanon”, eine Liste der jährlich ernannten Beamten, oder Limmus (Eponyme). Auch der assyrische König hatte das Eponymat inne, meist im zweiten Jahr seiner Herrschaft, bis Schalmaneser V. (726-722 v. Chr.) mit diesem Muster brach.
Aus der neuassyrischen Zeit wurden mehrere Listen mit aufeinanderfolgenden Eponymen gefunden, und für den Zeitraum 910 – 649 v. Chr., also vom zweiten Jahr des Königs Adad-nerari II. bis zum 20. Jahr des Assurbanipal, wurde eine durchgehende Liste erstellt. Die Liste für diesen Zeitraum wird daher “Eponymenkanon” genannt. Dieser Zeitraum wird astronomisch durch eine Sonnenfinsternis festgelegt, die laut dem Kanon im Monat Simanu (dem 3. Monat, der Teile von Mai und Juni umfasst) in der Namensgeberschaft von Bur-Saggilê stattfand, der das Amt im 10. Jahr von König Ashur-dan III. innehatte. Moderne Astronomen haben diese Sonnenfinsternis mit der am 15. Juni 763 v. Chr. (Julianischer Kalender) identifiziert.
Einige haben versucht, die absolute Chronologie dieses Zeitraums zu ändern, indem sie nach einer anderen Sonnenfinsternis suchten, an der die Chronologie des Eponymskanons festgemacht werden könnte. Ein Grund dafür ist, dass, wenn man, wie von der Wachtturm-Gesellschaft behauptet, der neubabylonischen Periode 20 Jahre hinzufügt, auch die Chronologie früherer Perioden zeitlich nach hinten verschoben werden muss, darunter auch die der neuassyrischen Periode. Im Internetlexikon Wikipedia schlägt ein anonymer Autor beispielsweise vor, dass es sich bei der Sonnenfinsternis um die partielle Sonnenfinsternis vom 24. Juni 791 v. Chr. gehandelt haben könnte. Die in diesem Artikel verwendeten Argumente ähneln auffallend denen, die der Wachtturm-Apologet Rolf Furuli in seinem Buch Assyrian, Babylonian and Egyptian Chronology, 2nd edition (Oslo: Awatu Publishers, 2008) verwendet.
Die Behauptung im Wikipedia-Artikel wurde kürzlich von Professor Hermann Hunger, einer führenden Autorität für die astronomischen Keilschrifttafeln aus Babylonien, diskutiert. Seine kurze, aber überzeugende Verteidigung des traditionellen Datums der Sonnenfinsternis des Eponyms Kanon, “Zur Datierung der neuassyrischen Eponymenliste”, ist in Altorientalische Forschungen, Bd. 35 (2008) 2, S. 323-325 veröffentlicht. Eine englische Übersetzung des Artikels, die von Hunger überprüft und korrigiert wurde, wird hier mit seiner Erlaubnis veröffentlicht. [Diese englische Übersetzung ist hier wieder ins Deutsche rückübersetzt.]
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Zur Datierung der neuassyrischen Eponymenliste [1]
Zusammenfassung
Jüngste Studien zu den assyrischen Namenslisten legen eine Neudatierung des Hinweises auf eine Sonnenfinsternis vom bisher anerkannten Jahr 763 v. Chr. auf 791 v. Chr. nahe. Eine sorgfältige Analyse der verfügbaren Daten führt den Autor zu dem Schluss, dass das frühere Datum 763 v. Chr. beibehalten werden sollte.
Professor Karl Hecker hat sich oft mit chronologischen Fragen zur Zeit des alten Assyriens beschäftigt und seine Aufmerksamkeit auf die Eponyme in den altassyrischen Texten gerichtet. Daher könnte auch eine Verteidigung des Datums der Neuassyrischen Eponymenliste von Interesse sein.
Die neuassyrische Eponymenliste, die in mehreren Kopien und Versionen erhalten ist, wird in der Regel auf eine Sonnenfinsternis in der Eponymie von Bur-Saggilê datiert, die der vom 15. Juni 763 v. Chr. entspricht:
Ina li-me IBur-dSa-gal-e … ina itusimāni dšamaš attalû ištakanan
„In der Namensgebung von Bur-Saggilê wurde die Sonne im Monat Simanu verfinstert.“
Unter dem Titel “Assyrische Sonnenfinsternis” im Internet-Lexikon “Wikipedia” findet man jedoch die Vermutung, dass es sich bei der in der Eponymenliste erwähnten Sonnenfinsternis nicht um die totale von 763 v. Chr. handeln kann (http://en.wikipedia.org/wiki/Assyrian_eclipse). Stattdessen wird eine partielle Sonnenfinsternis vom 24. Juni 791 v. Chr. vorgeschlagen, die in ganz Assyrien gegen Sonnenuntergang sichtbar gewesen wäre. Mit einer Helligkeit von 0,75 war sie jedoch kaum auffällig und hätte nur bemerkt werden können, wenn sie kurz vor Sonnenuntergang beobachtet worden wäre. Der Sonnenuntergang fiel ziemlich genau mit der größten Phase der Verfinsterung zusammen.
Das Internet ist zweifellos ein Schmelztiegel von Irrtümern; die Administratoren von “Wikipedia” bemühen sich aber offensichtlich um verlässliches Material auf ihrer Seite, wie man zum Beispiel an anderen Artikeln über das alte Mesopotamien sehen kann. Daher kann es hilfreich sein, unabhängige astronomische Beweise für die Datierung der assyrischen Könige und damit der Eponymenliste zu präsentieren.
1. In einer Sammlung von Mondfinsternissen[2] wird eine Finsternis im Monat I, Jahr 1 von Mukin-zeri erwähnt. Aufgrund der Struktur des Textes kann das Datum dieser Finsternis (die in Babylon nicht sichtbar war, aber im Voraus berechnet wurde) eindeutig auf den 9. April 731 v. Chr. festgelegt werden.
Es ist jedoch bekannt, dass Mukin-zeri gegen Tiglath-Pileser III. kämpfte und dass sein erstes Regierungsjahr mit dem 14. Jahr des assyrischen Königs zusammenfiel. Dies geht aus der Babylonischen Chronik hervor[3] und so wird das 14. Jahr von Tiglath-Pileser III. auf 731/730 v. Chr. festgelegt.
2. In dem oben erwähnten Werk[2] wird auch eine Sammlung von Beobachtungen der Planeten Mars und Merkur veröffentlicht (Nr. 52). In Spalte II’ der Seite A sind Zusammenkünfte zwischen Mars und Merkur zusammengestellt. Solche Zusammenkünfte (um den eigens definierten Begriff Konjunktion zu vermeiden) sind zwar keine Seltenheit, aber zu einem bestimmten Datum im assyrischen Kalender wiederholen sie sich nur in Abständen von Jahrzehnten bis zu Jahrhunderten.
Ein Datum (II’ 2′) ist der 16. von Simanu, dem 2. Jahr von Esarhaddon. Nach den Tabellen in Parpola, LAS II S. 382, entspricht dies dem 3. Juni 679 v. Chr. Zwar ist der Wortlaut nicht erhalten, aber ein paar Tage später fand eine Konjunktion von Mars und Merkur statt. Das reicht aus, um das Jahr zu bestimmen.
Der Text enthält weitere wichtige Informationen. Für den 19. Ajjaru des 17. Jahres von Šamaš-šum-ukin wird eine Zusammenkunft von Mars und Merkur im Sternbild “Alter Mann”, das unserem Stier entspricht, berichtet (II’ 5′). Šamaš-šum-ukin wurde von Assurbanipal in seinem ersten Jahr als König von Babylonien eingesetzt. Šamaš-šum-ukins 1. volles Jahr war also dasselbe wie das 2. Jahr seines Bruders, und sein 17. Jahr entspricht dem 18. von Assurbanipal. Die Tabelle von Parpola (siehe oben) gibt das entsprechende Datum im julianischen Kalender mit dem 28. April 651 v. Chr. an: Die Planeten standen bei 47o Längengrad dicht beieinander. Folglich kann das 18. Jahr von Assurbanipal im julianischen Kalender auf 651/650 v. Chr. festgelegt werden.
Eine weitere Beobachtung (II’ 6′) von Mars und Merkur am 4. Tešritu im 19. Jahr von Šamaš-šum-ukin kann auf ähnliche Weise verwendet werden; dieses Datum entspricht dem 15. September 649 v. Chr. Daraus ergibt sich, dass das 20. Jahr von Assurbanipal 649/648 v. Chr. war, in Übereinstimmung mit der vorherigen Beobachtung.
Mit Hilfe dieser Dokumente kann überprüft werden, ob in dem Jahr, das in der Eponymenliste angegeben ist, eine Sonnenfinsternis stattfand. Wir wissen jetzt, dass das 2. Jahr von Esarhaddon dem Jahr 679/678 im Julianischen Kalender entspricht. Wir berechnen, wie viele Jahre es in der Eponymenliste vom 2. Jahr Esarhaddons bis zu dem Jahr gibt, in dem die Sonnenfinsternis aufgezeichnet wurde, und kommen auf 84. Wenn wir nun im julianischen Kalender von 679 genau so viele Jahre zurückgehen, kommen wir auf 763. Das gleiche Ergebnis ergibt sich für die Jahre Assurbanipals. In ähnlicher Weise können wir das 14. Jahr von Tiglath-Pileser III. in der Eponymenliste nachschlagen und rückwärts zählen: Diese Differenz ergibt 32 Jahre. Auch in diesem Fall ist das Ergebnis im Julianischen Kalender 731 + 32 = 763. Und nach modernen Rückrechnungen fand in diesem Jahr eine totale Sonnenfinsternis in Assur statt, und zwar an einem Datum, das mit der Eponymenliste übereinstimmt.
Wir sind also berechtigt, die bisher akzeptierte Datierung der Namensliste beizubehalten.
Prof. Dr. H. Hunger
Universität Wien – Institut für Orientalistik
Spitalgasse 2 Hof 4
1090 Wien, Österreich
Fußnoten
1 – Übersetzung von Hermann Hungers Artikel, “Zur Datierung der neuassyrischen Eponymenliste,” veröffentlich in Altorientalische Forschungen, Vol. 35 (2008) 2, pp. 323-325.
2 – H. Hunger, Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia [Wien 2001], Vol. V, No. 2 I 1´-3´.
3 – I 19-23, A. K. Grayson, ABC 72; see J. A. Brinkman, PHPKB 236.