Brieffreundschaft mit der Verwaltungsrat der Zeugen Jehovas (Über die Chronologie 1914)
Carl Olof Jonsson an Wachtturm-Gesellschaft – 20. Mai 1977
Åmål, 20. Mai 1977 Liebe Brüder, ein Bruder hat sich gründlich mit der neubabylonischen Zeit in bezug auf unser gegenwärtiges Verständnis der “bestimmten Zeiten der Nationen” befaßt. Sein “Traktat”, in aller Aufrichtigkeit und tiefen Liebe zur Wahrheit geschrieben, ist von einigen befähigten Brüdern sorgfältig und kritisch untersucht worden, aber es war nicht möglich, die Argumente und die Schlußfolgerung zu widerlegen, daß 587 v.u.Z., und nicht 607 v.u.Z., das richtige Datum für die Zerstörung Jerusalems und seines Tempels war. Wenn diese Schlußfolgerung stimmt – und man kann nur schwer alle vorgelegten Beweise negieren -, dann hat das weitreichende Folgen für alles, was wir mit dem Jahr 1914 verbinden: Christi Gegenwart, die Aufrichtung von Gottes Königreich, der Sturz Satans usw. Ich lege den Teil II der Abhandlung bei, der von der neubabylonischen Chronologie handelt. Wir bitten Euch, ihn sorgfältig zu lesen und uns Eure Ansicht mitzuteilen, da die Sache uns allen sehr große Sorgen bereitet. Wir sind sehr neugierig auf Eure Antwort. In christlicher Liebe Euer Bruder, Carl Olof Jonsson |
Wachtturm-Gesellschaft an Carl Olof Jonsson – 19. August 1977
EG:EI New York, 19. August 1977 Lieber Bruder Jonsson: vielen Dank für Deinen Brief vom 20. Mai und das beigefügte Material. Wir bedauern, daß es uns wegen der vielen Arbeit bisher nicht möglich gewesen ist, dieser Angelegenheit soviel Aufmerksamkeit zu widmen, wie wir eigentlich wollten. In Deinem Brief erwähnst Du, daß Du uns den Teil II der Ausarbeitung schickst, aber Du hast uns eine Seite, als Teil I bezeichnet, vorgelegt. Ist das der ganze Teil I? Wir erwähnen dies, weil wir schon daran interessiert sind, die gesamte Abhandlung zu bekommen. Wenn das der ganze Teil I ist, dann hätten wir gerne auch Teil III, wenn er schon ausgearbeitet ist. Wir hätten von Dir auch gerne den Namen und die Anschrift des Bruders, der die Nachforschung betrieben und die Abhandlung geschrieben hat. Inzwischen tragen wir einen Teil des angeführten Quellenmaterials zusammen, und es wäre gut, wenn wir seinen Namen und seine Anschrift hätten, falls Fragen auftauchen. Du schreibst, der Stoff sei von einer Anzahl Brüder untersucht worden. Wenn Du also mit anderen in Kontakt stehst, die an dieser Sache beteiligt sind und uns, falls wir darum ersuchen, ihre Stellungnahmen dazu geben könnten, würden wir gerne auch von ihnen wissen. Wir möchten uns im voraus bedanken, daß Du unserer Bitte nachkommst. Deine Brüder, Watchtower Bible & Tract Society of New York. Inc. EG = Gene Smalley, Schreibkomitee |
Carl Olof Jonsson an das Schreibkomitee der Wachtturm-Gesellschaft – 5. September 1977
Åmål, 5. September 1977 Betreff: “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet” Liebe Brüder, vielen Dank für Euren freundlichen Brief vom 19. August, den ich vor ein paar Tagen erhalten habe. Ich war es, der die Abhandlung geschrieben hat, und wie ich Euch mitteilte, haben ein paar befähigte Brüder das Manuskript kritisch untersucht und mir mit einigen Verbesserungen geholfen, besonders bei Teil I. Ein Bruder und guter Freund in den U.S.A. war mir auch eine große Hilfe, mein Englisch zu berichtigen. Ich habe nicht geglaubt, daß die Namen derer, die an der Nachforschung beteiligt waren, wichtig sind, aber da ich Eurem Schreiben entnehme, daß Ihr vorhabt, das Thema sorgfältig und objektiv zu untersuchen (wofür ich wirklich sehr dankbar bin), bin ich bereit, soweit möglich alle Fragen zu beantworten, und ich will auch an die Brüder alle Fragen, die Ihr habt, weiterleiten. So könnten wir hierbei zusammenarbeiten und Euch alle wichtigen Punkte und Anmerkungen, die bei uns aufkommen, übermitteln. Jetzt liegt auch der Teil I des Manuskripts bei, der einen historischen Überblick über die Auslegungen der “Heidenzeiten” vom 1. Jahrhundert bis einschließlich C.T. Russell enthält. Mit diesem Teil soll unser gegenwärtiges Verständnis des Themas in einen historischen Rahmen gestellt und unser Sinn für den Stoff in Teil II und III aufnahmebereit gemacht werden. Leider bin ich mit Teil III noch nicht fertig. Ich habe ein Rohkonzept in Schwedisch sowie eine Menge Notizen, doch das Problem ist die Reinschrift in verständlichem Englisch. Ich hoffe, daß es im Oktober fertig ist. Dieser Teil behandelt die Bibelstellen zur 70-Jahr- Prophezeiung (Jer. 25, 29; 2.Chron. 36; Sach. 1, 7, usw.), die biblische Grundlage für die Errechnung der Heidenzeiten als 2520 Jahre, sowie eine Erörterung zum Datum 1914. Natürlich werden in diesem Teil nur ein paar mögliche Alternativen vorgeschlagen; um alle Fragen zu beantworten, werden weitere Nachforschungen nötig sein. Sobald der Teil fertig ist, werde ich Euch ein Exemplar schicken. In Eurem Brief sprecht Ihr davon, daß Ihr einiges von dem in meinen Fußnoten genannten Quellenmaterial zusammentragt. Da ich fast alles als Fotokopie bei mir zu Hause habe, schicke ich Euch gerne alles, was Ihr braucht, wenn das Eure Prüfung erleichtert. In christlicher Liebe. Euer Bruder, Carl Olof Jonsson |
Carl Olof Jonsson an das Schreibkomitee der Wachtturm-Gesellschaft – 12. Dezember 1977
Åmål, 12. Dezember 1977 Betreff: “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet” Liebe Brüder, hoffentlich habt Ihr den Teil I der genannten Abhandlung wie gewünscht erhalten. Er wurde am 5. September 1977 an Euch abgeschickt. Mit getrennter Post (Luftpost) habe ich Euch heute den Teil III übersandt, den ich für Oktober versprochen hatte, was sich aber aus mehreren Gründen verzögert hat. Vor allem wurde der letzte Teil länger als beabsichtigt, obwohl mehrere Punkte darin nur kurz angeschnitten werden. Die Korrektur des englischen Textes nahm auch einige Zeit in Anspruch, und dann wurde das Manuskript ja neben vielen anderen Verpflichtungen in der Versammlung und in meiner weltlichen Arbeit verfaßt. Inzwischen haben mehrere Brüder die Abhandlung geprüft, und die meisten stimmen den Schlußfolgerungen eher zu. Wir hoffen daher, daß ihr die vorgelegten Beweise und Argumente einer sorgfältigen und objektiven Prüfung unterzieht. Zwar werden einige Beweise durchaus kritisch betrachtet vorgelegt, aber man sollte im Sinn behalten, daß sich die Kritik immer auf eine offensichtlich falsche Vorstellung bezieht, niemals auf Personen oder Personengruppen. Die Abhandlung wurde in aller Demut geschrieben, in Liebe zur Wahrheit und im Hinblick auf unser aller Bestes. Daher hoffe ich, daß die Argumentation nicht als provozierend ausgelegt wird, denn das war nie meine Absicht. Wir sind alle gespannt auf Eure Stellungnahme. In christlicher Liebe. Euer Bruder, Carl Olof Jonsson PS: Auf der Seite 27 meiner Abhandlung wird im letzten Satz und in der Fußnote 20 ein Robert R. Newton genannt, der vor einigen Jahren Claudius Ptolemäus als jemand entlarvt haben wollte, der einige seiner Beobachtungen “erfunden” habe. Vielleicht ist Euch bekannt, daß er inzwischen ein Buch über das Thema geschrieben hat: The Crime of Claudius Ptolemy, 1977 (John Hopkins University Press). Wie es in der Zeitschrift Scientific American (Oktober 1977, S. 79 ff) heißt, habe “Newton auch entdeckt, daß Ptolemäus einen großen Teil der Beobachtungen, die er anderen Astronomen zuschrieb, nicht übernommen und bewahrt, sondern gefälscht hat … Darüber hinaus ging die Fälschung des Ptolemäus vielleicht so weit, die Länge der Regierungszeiten babylonischer Könige zu erfinden.” Deshalb ist die kritische Haltung gegenüber Ptolemäus im Aid-Buch sicher gerechtfertigt. “Es ist klar”, schließt Newton sein Buch, “daß man keine Feststellung des Ptolemäus akzeptieren kann, die nicht von Schreibern bestätigt wird, die in den fraglichen Dingen völlig unabhängig von Ptolemäus sind.” Genau das ist im Teil III meiner Abhandlung geschehen: Die neubabylonische Chronologie wird durch mehrere vom Ptolemäischen Kanon unabhängige Beweislinien begründet. Sie zeigen, daß die Königsliste des Ptolemäus, was die neubabylonische Periode betrifft, korrekt ist. |
Wachtturm-Gesellschaft an Carl Olof Jonsson – 17. Januar 1978
GEA:ESB New York, 17. Januar 1978. Lieber Bruder Jonsson: Dein Brief vom 12. Dezember 1977 und Deine Abhandlung “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet” liegen uns vor. Wir konnten das Material bisher noch nicht prüfen, da wir wegen anderer dringender Dinge davon abgehalten wurden. Doch wenn wir Zeit haben, werden wir uns dieser Sache zuwenden. Wir schätzen die Aufrichtigkeit, mit der Du Deine Ansichten darlegen möchtest. Doch ganz gleich, wie sehr diese Sichtweise gestützt werden mag, sie muß zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Deine persönlicher Ansicht gelten. Du solltest darüber nicht reden noch versuchen, innerhalb der Versammlung andere dafür zu gewinnen. Wir erwähnen dies, weil Du in Deinem Brief schreibst, mehrere Brüder hätten Deine Abhandlung geprüft, und sagst: “Wir sind alle gespannt auf Eure Stellungnahme.” Du bist Dir sicher bewußt, daß das, was Du in Deiner Abhandlung sagst, im Grunde eine radikale Abkehr vom gegenwärtigen Verständnis der Chronologie bei Jehovas Zeugen ist. Wir sind uns sicher, daß Du verstehst, daß jede mögliche wichtige Änderung ihren geordneten Gang gehen sollte, so wie im ersten Jahrhundert mit einer zentralen Leitung (Apg. 15:1, 2). Wir sind uns auch sicher, daß Du verstehst, daß es nicht einend, sondern entzweiend wirkt und Verwirrung stiftet, wenn Einzelpersonen solche Änderungen vorbringen und fördern. Wir erwähnen dies Dir gegenüber, weil die Abhandlung auf der Titelseite die Bezeichnung “Von Jehovas Zeugen für Jehovas Zeugen geschrieben” trägt. Die Aussage “von Jehovas Zeugen geschrieben” impliziert, daß etwas von Jehovas Zeugen als Gesamtheit gutgeheißen wird, und gewiß erkennst Du, daß das bei der vorliegenden Abhandlung nicht der Fall ist. Es könnte ein falscher Eindruck entstehen, und wir glauben fest, daß Du das auch nicht willst. Sei versichert, daß Deine Ansichten von den zuständigen Brüdern geprüft und Lehränderungen, wenn nötig, durch den richtigen Kanal vorgenommen werden. Das ist wichtig, um die Einheit in Jehovas Organisation zu bewahren. Hoffentlich wirst Du diesen Rat beherzigen. Wir hoffen, uns mit Deiner Abhandlung zu gegebener Zeit genauer befassen und eine Stellungnahme dazu abgeben zu können. Sei unserer herzlichen Liebe und aller guten Wünsche versichert. Deine Brüder, Watchtower Bible & Tract Society of New York, Inc. Für das Schreibkomitee der leitenden Körperschaft GEA = W. L. Barry, leitenden Körperschaft |
Carl Olof Jonsson an das Schreibkomitee der Wachtturm-Gesellschaft – 22. Februar 1978
Åmål, 22. Februar 1978 Betreff: “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet” Liebe Brüder, herzlichen Dank für Euren Brief vom 17. Januar und Euer Versprechen, daß meine Abhandlung von den “zuständigen Brüdern” geprüft wird. Sicher ist uns allen die Bedeutung der Sache klar, denn es geht ja nicht nur um ein kleines Detail, sondern um den “Eckstein” unserer Lehre über die letzten Dinge. Da die Suche nach Wahrheit und ihre Verbreitung der Hauptgrund für das Bestehen unserer Bewegung ist, kann man das Thema nicht gleichgültig behandeln oder auf einen Nimmerleins-Tag verschieben. Ein Koch, den man auf Anzeichen hinweist, daß einige Speisen vergiftet sind, wird dies zweifellos gleich untersuchen und inzwischen dafür sorgen, daß die verdächtigen Speisen nicht Gästen serviert werden. Gilt das nicht auch für geistige Speise? Offenbar habt Ihr es mißverstanden, wenn ich in meinem letzten Brief gesagt habe, daß “mehrere Brüder die Abhandlung inzwischen geprüft haben.” Ich spreche nicht mit Versammlungsgliedern über die Beweise in meiner Abhandlung; ich will niemanden gewinnen, da ich genau weiß, welche Verwirrung das unter den Brüdern ganz allgemein hervorriefe. Die Liebe zur Wahrheit und den Brüdern verursacht keine Spaltung und Verwirrung, doch wie Ihr wißt, neigen viele Brüder dazu, den Stoff in den Wachtturm-Publikationen fast als von Gott inspiriert und damit tabu für jede kritische Prüfung im Lichte der Bibel anzusehen (Apg. 17:11). Sicher stimmt Ihr mir darin zu, daß eine solche Haltung sehr bedauerlich ist und man dagegen angehen sollte. Aufgrund dieser Haltung muß man offene Bitten um Prüfung meiden, weil darauf immer wieder unberechenbare Reaktionen folgen. Die Abhandlung ist von sechs sachkundigen Brüdern in Schweden (von denen keiner zu unserer Versammlung gehört) und etwa acht Brüdern in den USA und in anderen Ländern untersucht worden. Da es aber wahrscheinlich für die Betreffenden unmöglich ist, diese heikle Angelegenheit geheim zu halten, wird sie meiner Meinung nach mit der Zeit immer mehr die Runde machen. Dafür gibt es bereits Anzeichen. Mit der Zeit könnte das eine Menge Probleme schaffen, aber ich bin sicher, daß Ihr, ehe das passiert, die Sache geklärt haben werdet. Wozu Ihr Euch noch äußert: die Feststellung auf der Titelseite, die Abhandlung sei “von Zeugen Jehovas für Zeugen Jehovas” geschrieben. Da einige Brüder mir sehr dabei geholfen haben, die Abhandlung zu prüfen und zu korrigieren, und mehrere gute Vorschläge und Verbesserungen angebracht haben, hielt ich es für richtig zu sagen, daß die Abhandlung das Ergebnis der Nachforschung mehrerer Zeugen ist und Zeugen Jehovas als Zielgruppe hat, nicht unsere Gegner, die damit eine machtvolle Waffe gegen uns hätten. Keiner der Brüder, die die Abhandlung gelesen haben, hat diese Aussage bisher falsch verstanden und daraus etwa geschlossen, die Arbeit sei “von Jehovas Zeugen als Gesamtheit gutgeheißen worden.” Aber ich verstehe, wie Ihr über diesen einzelnen Punkt denkt und habe den Satz auf der Titelseite meines Originals geändert. Ich lege diesem Brief eine Kopie der neuen Titelseite bei, die Ihr gegen die alte austauschen könnt. Einige andere Details der Abhandlung sind ebenfalls geändert worden, besonders einige Aussagen zu Ptolemäus, die in Abstimmung mit den Beweisen R.R. Newtons in seinem Buch The Crime of Claudius Ptolemy (siehe das PS in meinem letzten Brief) korrigiert wurden. Diese Korrekturen ändern aber an keiner der Beweislinien gegen 607 v.u.Z. etwas. Ich habe das nur der Genauigkeit halber gemacht. Eine weitere Korrektur betrifft die Fußnote 21, Seite 63, wo “8 Monate” “4 Monate” und “10 Monate” “2 Monate” heißen sollte. Die geänderten Seiten liegen bei, Ihr könnt sie austauschen. In christlicher Liebe Euer Bruder im Dienste Jehovas und der Wahrheit, Carl Olof Jonsson |
Carl Olof Jonsson an Albert D. Schroeder – 6. Dezember 1978
Åmål, 6. Dezember 1978 Lieber Bruder, ich nehme an, daß Du von meiner Abhandlung Die Zeiten der Nationen näher betrachtet weißt (und sie vielleicht gelesen hast), die ich vergangenes Jahr an die Schreibabteilung geschickt habe. In dieser Abhandlung wird eine Reihe von Beweisen dafür vorgelegt, daß Jerusalem 587 v.u.Z. von den Babyloniern verwüstet wurde, und nicht wie bisher von uns geglaubt 607 v.u.Z. Ich habe zwar noch keine Antwort mit einer Bewertung der Beweise in meiner Abhandlung erhalten, aber ich denke mir S so ist mir auch gesagt worden S, ein Grund, warum meine Beweise bisher nicht beachtet wurden, ist die Bedeutung, die Ihr einem kürzlich erschienenen Werk von Robert R. Newton mit dem Titel The Crime of Claudius Ptolemy (Baltimore 1977) zumeßt, und besonders der Aussage des Rezensenten im Scientific American vom Oktober 1977, Seite 80, daß „die Fälschung des Ptolemäus vielleicht so weit ging, die Länge der Regierungszeiten babylonischer Könige zu erfinden.“ Diese Aussage, die auch im Watchtower vom 15. Dezember 1977, Seite 747, angeführt wurde, kann vollständig widerlegt werden, wie dem beigefügten Blatt (eine Aufstellung mit kurzen Bemerkungen), Die Regierungszeiten babylonischer Könige: Ein Vergleich des Ptolemäischen Kanons mit älteren Quellen, zu entnehmen ist, das ich anfangs diesen Jahres geschrieben habe. Bruder Schroeder, es gibt zwei Gründe, warum ich in dieser Sache persönlich an Dich herantrete: 1) Einer der Bezirksaufseher hier in Schweden, Bruder Rolf Svensson, sagte mir, Du seist im Hauptbüro so etwas wie ein Experte für Chronologie, und 2) berichtete er mir auch von einem Treffen, das Du Anfang August mit einer Anzahl bekannter Brüder in Europa abgehalten hast. Bei diesem Treffen hattest Du den Zuhörern gesagt; A. qdaß in den USA augenblicklich eine Kampagne sowohl von außerhalb (den Siebten-Tag-Adventisten) als auch aus unseren Reihen im Gange sei, um unsere gegenwärtige Chronologie 607 v.u.Z. bis 1914 u.Z. über den Haufen zu werfen, B. qdaß die Gesellschaft ganz und gar nicht vorhabe, die Chronologie in ihrer gegenwärtigen Form aufzugeben, C. daß sich einige der von den “Angreifern” genannten alten Dokumente als gefälscht erwiesen hätten (es wurde die Königsliste des Ptolemäus erwähnt) und die Gesellschaft diese Sache mit größtem Interesse verfolge, und D. daß es an den Argumenten, die diese “Angreifer” vorbringen, nichts gebe, was neu für die Gesellschaft sei. Diese Information war natürlich sehr interessant für mich, und ich würde gerne ein paar Bemerkungen dazu anbringen und Dir einige Fragen stellen, von denen ich hoffe, daß Du sie freundlicherweise beantwortest. A. Die Kampagne. Siehst Du meine Nachforschung zur neubabylonischen Chronologie und die Beweise, die ich der Schreibabteilung unterbreitet habe, vielleicht als Teil der oben erwähnten Kampagne an? Zumindest sieht es so aus, als ob Brüder in leitenden Stellungen hier in Schweden Deine Aussage so verstanden haben. Mir ist von einem Bezirksaufseher gesagt worden, die Gesellschaft wünsche nicht, daß jemand sich mit derartigen Nachforschungen abgibt; die Gesellschaft habe dies nicht nötig; daß kürzlich ein Bruder auf Island wegen solcher Nachforschungen ausgeschlossen worden sei, usw. Warnungen ähnlicher Art werden auch von der Bühne herab ausgesprochen. Während eines Kreiskongresses, den ich vor einigen Wochen besuchte, sprach ein weiterer Bezirksaufseher in ironischem Ton von einigen “anmaßenden Brüdern”, die sich wie “kleine Propheten ihre eigene Chronologie” im Widerstreit zu der der Gesellschaft zurechtgezimmert hätten. Ein anderer Bruder, Angehöriger des Zweigkomitees, wendet in einer Ansprache, die er in den Versammlungen hält, erhebliche Zeit dafür auf, vor “gefährlichen Elementen” in den Versammlungen zu warnen, wobei er speziell Brüder meint, die nicht an die Chronologie der Gesellschaft glauben. Du kannst Dir wohl gut vorstellen, welche Art Klima aufgrund von Äußerungen wie dieser sich entwickelt — ein Klima der Furcht, der Verdächtigungen, usw., wo es immer wieder Brüder gibt, die einem eine harmlose Bemerkung so auslegen, daß sie sich schließlich gegen einen richtet. Meine Nachforschung begann vor über zehn Jahren im Gefolge von Fragen, die mir ein Mann stellte, mit dem ich die Bibel studierte. Allmählich dämmerte es mir, daß die allgemein akzeptierte Chronologie für die neubabylonische Zeit durch sehr starke Beweise gestützt wird. Ich habe mich sehr angestrengt, sie zu widerlegen, aber ich konnte es nicht; schließlich mußte ich sie akzeptieren. Nachdem ich die Beweise eine Zeitlang mit ein paar meiner engsten Freunde (persönlich oder brieflich) erörtert hatte, reifte der Entschluß, sie der Gesellschaft vorzulegen. Also schrieb ich die Abhandlung Die Zeiten der Nationen näher betrachtet und schickte sie an die Schreibabteilung. Das Werk ist in aller Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit geschrieben. Es ist sehr tragisch, mit ansehen zu müssen, wie die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Frage S der Zuverlässigkeit der Jahreszahl 607 v.u.Z. S abgelenkt und auf den Fragesteller gerichtet wird und man nun ihn, und nicht mehr die Frage, als das Problem sieht! Das ist wirklich beklagenswert. Wie ist so etwas in unserer Gemeinschaft möglich? B. Die Chronologie aufgeben oder nicht? Ich kann gut verstehen, warum man zögert, die Chronologie aufzugeben, auch wenn die Beweise dagegen sehr stark sind. Die Berechnung 607 v.u.Z. – 1914 u.Z. über den Haufen zu werfen hätte ernste Folgen für unser gegenwärtiges Verständnis der Ereignisse seit 1914 (wie ich das auch in Teil III der Abhandlung gezeigt habe). Und ich kann auch das Argument verstehen, das Fred Rusk gegenüber einem engen Freund von mir gebrauchte, der das Hauptbüro besuchte und mit ihm über die Chronologie sprach, d.h. daß “wir nicht so einfach das Datum 1914 wegnehmen können, wenn wir nichts haben, was wir an seine Stelle setzen können.” Andererseits ist Liebe zur Wahrheit seit jeher eines der wichtigsten Kennzeichen unserer Bewegung, und sicher ist das einer der Gründe, warum Gott diese Bewegung in der Vergangenheit gesegnet hat. Wer die Wahrheit liebt, hat auch mit großen Änderungen keine Probleme, da er erkennt, daß die Änderungen vorgenommen werden, um mit der Wahrheit und den Fakten in Übereinstimmung zu sein. Ich kenne viele Brüder (die nichts von den Beweisen gegen die Jahreszahl 607 v.u.Z. wissen), die inzwischen immer mehr Probleme mit unserer gegenwärtigen Chronologie haben, einfach weil sie sehen, daß das Jahr 1914 immer weiter in die Vergangenheit rückt und die Generation, die wir mit 1914 verbinden, bis zur äußersten Grenze hinausgeschoben wird und das kritische Jahrzehnt, die 1970er Jahre (mit dem Datum 1975), bald hinter uns liegt. Das weitverbreitete Gefühl wächst, daß etwas grundlegend nicht stimmt, und das ist sicher unsere Chronologie. — Müssen wir denn wirklich etwas “an seine Stelle setzen”? Für einen Christen genügt die Bibel und ihr Inhalt als Glaubensgrundlage. Und darin findet er kein Datum 607 v.u.Z. oder 1914 u.Z. Die Urchristen hatten keine solchen Daten, und ihnen genügte das, was sie hatten. Als sie Jesus nach der Zeit fragten, in der das Königreich Gottes aufgerichtet würde, gab er ihnen keine Daten oder chronologische Berechnungen zur Antwort, und er verwies sie auch nicht auf Daniel, Kapitel 4. Er sagte nur: “Es ist nicht eure Sache, über die Zeiten (kairoi) und Zeitabschnitte Kenntnis zu erlangen, die der Vater in seine Rechtsgewalt gesetzt hat.” — Apg. 1:6, 7. Sollte diese Aussage nicht genügen, um sie an die Stelle des Datums 607-1914 zu setzen? C. Gefälschte Dokumente? Ich war wirklich überrascht zu hören, daß einige der Dokumente, auf denen die Chronologie der neubabylonischen Zeit ruht, gefälscht sein sollen. Ich habe mich gefragt: Wenn das stimmt, warum hat man mich dann nicht als Antwort auf meine Abhandlung darüber benachrichtigt? Das wäre für mich sicher sehr hilfreich gewesen. Ich weiß nichts von solchen Fälschungen, obwohl ich die Dokumente schon seit Jahren studiere und die Diskussion darüber in den wissenschaftlichen Blättern verfolge. Doch mir wurde bald klar, daß die genannten “Dokumente” nur die Königsliste des Ptolemäus sein konnten (die ich nicht zum Beweis in meiner Abhandlung heranzog). Vielleicht hast Du auch gar nicht gesagt, diese Königsliste habe sich als gefälscht herausgestellt (sie hat es nicht), sondern nur, sie könnte sich herausstellen. Auch Bruder Rusk hat in dem oben erwähnten Gespräch mit meinem Freund allein die Königsliste des Ptolemäus als möglicherweise erfunden bezeichnet; er schien nichts von weiteren Fälschungen zu wissen. So komme ich zu dem Schluß, daß es diese Liste ist, die ihr mit “Dokumente” meint. Kannst Du das soweit bestätigen? Die Königsliste des Ptolemäus wurde nicht erfunden, wie ich in dem beigefügten Blatt Die Regierungszeiten babylonischer Könige gezeigt habe, wo der Ptolemäische Kanon mit den Regierungszeiten der babylonischen Könige verglichen wird, wie sie in anderen und weit älteren Dokumenten angegeben sind. Ptolemäus hatte seine Angaben offenbar aus älteren, ihm zugänglichen Quellen. Andererseits schien R.R. Newton gezeigt zu haben, daß Ptolemäus viele der astronomischen Beobachtungen, die dieser Königsliste in seinem Almagest beigefügt sind, gefälscht hat. Wie konnte es möglich sein, daß diese Beobachtungen gefälscht waren, wenn es die Königsliste nicht war? Um darauf eine Antwort zu erhalten, sandte ich meine Aufstellung über Die Regierungszeiten babylonischer Könige an R.R. Newton und stellte ihm einige Fragen. Ich stellte ihm auch einige Fragen zur in der Eponymenliste erwähnten Sonnenfinsternis im Eponym des Bur-Sagal. Robert Newton ist kein Experte der assyro-babylonischen Chronologie und Geschichte, was er in seinem Buch The Crime of Claudius Ptolemy auch bereitwillig zugibt: “Ich habe nicht versucht, mich in die Beweise aus anderen Quellen als Ptolemäus für die Jahre davor zu vertiefen”, d.h. vor Nebukadnezar (Seite 375). Das wurde auch bei unserem Briefwechsel deutlich. Obwohl er das astronomische Tagebuch VAT 4956 untersuchte und das bereits früher festgesetzte Datum für das 37. Regierungsjahr Nebukadnezars (568/567 v.u.Z.) bestätigte und damit auch Nebukadnezars erstes Regierungsjahr auf 604/603 v.u.Z. festlegen konnte, wußte er praktisch nichts über die alten Dokumente, auf die sich die assyro-babylonische Chronologie gründet. Das zeigt sich sehr deutlich in seiner Besprechung der assyrischen Eponymenliste, wo er einen sehr schweren Fehler begeht. (Es scheint, daß die Erörterung der Eponymenliste im Aid-Buch leider aus demselben Fehler herrührt. Es wird der Eindruck erweckt, die Festlegung des Eponyms Sanheribs in sein 18. Regierungsjahr sei eine Erfindung moderner Historiker, obwohl diese Information in der Eponymenliste selbst angegeben ist! Seite 326:4, 5. [Anmerkung der Herausgeber: Im Nachfolgewerk der Wachtturm-Gesellschaft für das Hilfe-Buch, “Einsichten über die Heilige Schrift”, fehlen eben diese beiden angegebenen Abschnitte. — Siehe Band I, Seite 482.] EIn seiner Antwort räumt Newton ein, daß “die Königsliste vielleicht echt ist”, womit er nicht bloß meint, daß sie nicht erfunden sei (das wird aus meiner Tabelle sehr deutlich), sondern auch, daß sie vielleicht korrekt ist. Das sind zwei unterschiedliche Dinge: Der Kanon wurde nicht erfunden, sondern bezog seine Angaben aus älteren Quellen. Aber stimmt er auch mit den Tatsachen überein? Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich davon ab, ob diese älteren Quellen mit den Tatsachen übereinstimmen. Und genau das habe ich in meiner Abhandlung aufgezeigt, in der ich verschiedene voneinander unabhängige Beweislinien vorstellte und zeigte, daß die allgemein akzeptierte Chronologie der neubabylonischen Zeit richtig ist. Es gibt andere Beweislinien, die in der Abhandlung nicht genannt werden, die die Länge der neubabylonischen Zeit festlegen, aber da sie verschiedene Teilbereiche dieser Zeit abdecken und nicht die gesamte Zeitperiode, habe ich sie nicht in meine Abhandlung aufgenommen. Einer dieser Teilbereiche umfaßt beispielsweise die Zeit vom 16. Regierungsjahr des Nabopolassar bis zum Thronbesteigungsjahr des Nabonid. Ein Dokument aus der Regierungszeit des Nabonid besagt, daß diese Zeit 54 Jahre betrug (610-556 v.u.Z.). — Ich lege die Antwort Newtons und auch eine Kopie meiner Antwort auf seinen Brief bei. Meinen letzten Brief hat er nicht beantwortet, offensichtlich weil er ihn nicht widerlegen konnte. D. Nichts neu? Natürlich konntest Du das im August 1978 sagen. Aber als Ihr im Mai 1977 den Teil II meiner Abhandlung erhalten hattet: Habt Ihr wirklich nichts Neues darin gefunden? Was ist denn mit der Harran-Stele, Nabon H 1, B? Diese Stele wurde im Jahre 1956 entdeckt und 1958 von Gadd übersetzt. Habt Ihr etwas von dieser Stele gewußt, als Ihr 1971 das Aid-Buch herausbrachtet? Ich komme zu einem negativen Schluß, denn hättet Ihr davon gewußt, dann hättet Ihr nicht die beschädigte Abschrift dieser Stele, 1906 entdeckt, genannt, ohne die Stele selbst mit den vollständigen Zeitangaben darauf, 50 Jahre später entdeckt, zu erwähnen. Über die beschädigte Stele zu schreiben, um zu zeigen, wie wenig wir von der neubabylonischen Chronologie wissen, wäre nicht aufrichtig gewesen, wenn Ihr von der neuen, in gutem Zustand befindlichen Stele schon wußtet. Da ich überzeugt bin, daß es sich bei dem Verfasser des Artikels um einen ehrlichen Menschen handelte, muß ich schließen, daß er nichts von der neuen, 1956 entdeckten Stele wußte. Ich halte es auch für unwahrscheinlich, daß Ihr etwas von den EgibiKeilschrifttafeln wußtet und welch starke Beweise sie für die neubabylonische Zeitperiode darstellen, oder die Beweise aus der zeitgenössischen ägyptischen Chronologie, die sich unabhängig davon auf eine Reihe von Apis-Stelen stützt. Die drei genannten Beweise stellen Synchronismen zur neubabylonischen Zeit dar und sind alle unabhängig voneinander, und doch sind sie alle in der Länge der neubabylonischen Zeit einig. Es sind die stärksten Beweise, die wir heute für die Länge der neubabylonischen Zeit haben. Dennoch ist keiner von ihnen jemals in einer unserer Publikationen erwähnt worden, weder im Aid-Buch noch sonstwo. Wenn diese Beweise „nichts Neues“ sind, dann, so denke ich, ist es doch merkwürdig, daß sie nirgends erörtert oder erwähnt sind und kein Versuch unternommen wurde, sie zu widerlegen. Bist Du sicher, daß nichts davon neu war, als das Aid-Buch geschrieben wurde oder als ihr 1977 meine Abhandlung erhalten habt? Ein Einwand gegen meine Argumente gegen das Datum 607 v.u.Z. ist, daß sie sich alle auf “weltliche” Quellen stützen. Darauf kann man nur erwidern, daß sich ein sehr großer Teil unserer gegenwärtigen “Bibelchronologie”, d.h. die über 2.500 Jahre von 539 v.u.Z. bis 1978 u.Z., allein auf “weltliche” Quellen stützt. Nebenbei, genau dieselbe Art von Beweisen (= weltliche Dokumente), die das Jahr 539 v.u.Z. zu einem “absoluten Datum” oder “Schlüsseldatum” in unserer gegenwärtigen Chronologie machen, machen auch das Jahr 587 (als das 18. Regierungsjahr Nebukadnezars, als Jerusalem zerstört wurde) zu einem “absoluten” oder “Schlüsseldatum”. Tatsache ist, daß unsere ganze “Bibelchronologie”, die am Jahr 539 v.u.Z. hängt, aus eben diesem Grund allein auf “weltlichen” Quellen beruht! Jedes Argument gegen die Dokumente, auf denen das Datum 587 v.u.Z. aufbaut, besitzt dieselbe Schlagkraft auch gegen 539 v.u.Z. und indirekt auch gegen 607 v.u.Z., da diese Jahreszahl vom Datum 539 v.u.Z. abgeleitet wird! So sieht die Sache aus, und darum sollten wir 587 v.u.Z. statt 607 v.u.Z. als das korrekte Jahr für die Zerstörung Jerusalems akzeptieren. Ich bin zuversichtlich, daß Du mir meine Freimütigkeit nicht übel nimmst, sondern das beigefügte Material unvoreingenommen untersuchen wirst. Sei dessen gewiß, daß ich nur gut von Euch denke und trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten darum bitte, daß Jehova uns alle weiterhin völlig in seine Wahrheit leitet und uns einander Liebe erweisen lehrt. Ich freue mich auf Deine Antwort. Dein Bruder, Carl Olof Jonsson |
Wachtturm-Gesellschaft an Carl Olof Jonsson – 22. Dezember 1978
EW:ESC New York, 22. Dezember 1978 Lieber Bruder Jonsson: Wir möchten Dir mitteilen, daß Dein Brief vom 6. Dezember mit dem beigefügten Material, adressiert an A.D. Schroeder, hier angekommen ist und an die Schreibabteilung weitergeleitet wurde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden wir auf die Punkte in Deinem Brief weder antworten noch darauf eingehen. Sei unserer besten Wünsche versichert. Deine Brüder,
Watchtower Bible & Tract Society of New York, Inc. EW = E. C. Chitty, Schreibkomitee |
Wachtturm-Gesellschaft an Carl Olof Jonsson – 1. Januar 1979
EW:ESE New York, 1. Januar 1979 Lieber Bruder Jonsson: Wir möchten unserem Brief vom 22. Dezember gerne noch einige Bemerkungen hinzufügen. Wir möchten Dich davon in Kenntnis setzen, daß wir das, was Du geschrieben hast, nicht mißachten oder von uns weisen, weder Deinen Brief mit Anlage an Bruder Schroeder noch den vorhergehenden Schriftwechsel mit uns. Es ist deutlich, daß Du umfangreiche Nachforschungen betrieben hast, und wir wollen Dir keine mangelnde Gewissenhaftigkeit in Deinen Ausführungen und Motiven unterstellen. Du denkst offensichtlich, daß die weltlichen Beweise, die Du gefunden hast, für eine positive Schlußfolgerung ausreichen. Wir teilen diese feste Überzeugung nicht und glauben daher, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt besser ist, sich mit einem Urteil zurückzuhalten. Was die Nachforschungen zu diesem Thema betrifft, die Du auf Seite 2 Deines Briefes ansprichst: Dies liegt völlig in der Entscheidung und Verantwortung des einzelnen. Sicher wäre es nicht wahr, wenn jemand sagte, es hätte wegen solcher Nachforschungen Ausschlüsse gegeben. Wenn aber jemand deshalb (oder auch nicht deshalb) weiterhin seine Ansichten zu einem bestimmten Thema deutlich vorbringt, so daß dadurch offene Kontroversen und Streitigkeiten, und damit Uneinigkeit, verursacht werden, dann muß im Interesse aller Brüder etwas unternommen werden. Wenn zu einem bestimmten Thema eine Frage auftaucht, dann ist es besser, Rücksicht zu zeigen und daraus keine Riesensache zu machen oder Anlaß zu Zwist und Streitgesprächen zu geben, bis die Frage geklärt werden kann und für jeden außerhalb jeden vernünftigen Streites steht. — 1. Kor. 1:10, 11. Wir haben uns über die Schlußsätze in Deinem Brief sehr gefreut und versichern Dich unserer herzlichen christlichen Zuneigung. Deine Brüder,
Watchtower Bible & Tract Society of New York, Inc. EW = E. C. Chitty, Schreibkomitee |
Wachtturm-Gesellschaft an Carl Olof Jonsson – 28. Februar 1980
EJ:ESC New York, 28. Februar 1980 EJ= C. Chain, Schreibkomitee
Lieber Bruder Jonsson: Wir möchten uns für die lange Verzögerung bei der weiteren Antwort auf Dein Material über die Chronologie des Altertums, die Du der Gesellschaft 1977 zugeschickt hast, entschuldigen. Schon einige Jahre bevor wir Deine Hinweise erhielten, und auch während der Jahre seither, hat die Gesellschaft weiter Material zur biblischen und weltlichen Chronologie zusammengetragen. Wir schätzen, was Du uns zugeschickt hast; wir haben es auch gelesen und darüber nachgedacht. Wir haben es keineswegs vergessen oder als unwichtig beiseite geschoben. Und wir haben auch Deine Abhandlung mit dem Titel “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet” vorliegen. Auch sie haben wir gelesen; sie wird zukünftig noch Gegenstand weiterer Prüfung sein. Wir erkennen an, daß Du für die Abhandlung, die Du uns zugeschickt hast, erhebliche Zeit aufgewendet hast. Wir erkennen auch an, daß viel Zeit und Mühe nötig waren, um den Stoff in die vorliegende Form zu bringen. Da Du offensichtlich zu einem besseren Verständnis des Wortes Gottes beitragen möchtest und Dir für dieses Ziel so viel Mühe gemacht hast, glauben wir, daß es nur fair Dir gegenüber ist, Stellung zu dem Material zu nehmen. Allerdings möchten wir erwähnen, daß hierbei zwei Probleme auftauchen: (1) Wir halten es nicht für richtig, wenn wir Punkt für Punkt jedes Detail erörtern, wo wir anderer Meinung sind oder nicht zu demselben Schluß wie Du kommen konnten. Dem stände der Geist der Aussage in 1.Timotheus 6:3-5 über “Streitfragen” und “Debatten” entgegen; (2) das eingesandte Material über die Chronologie allein umfaßt schon Dutzende von Schreibmaschinenseiten, und die Abhandlung “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet” hat noch einmal einen Umfang von 107 Schreibmaschinenseiten. Da die für den Schriftverkehr der Gesellschaft Verantwortlichen Tag für Tag ein erhebliches Arbeitspensum zu bewerkstelligen haben, ist es weder möglich noch wäre es anderen gegenüber fair, wenn wir einen ausgedehnten Briefwechsel mit Dir beginnen. Das heißt aber nicht, daß wir Deine Antwort nicht zur Kenntnis nehmen, wenn Du diesen Brief erwidern willst. Wir werden alles lesen und sorgfältig überdenken. Aber die Gesellschaft kann darüber keinen ausgedehnten Briefwechsel führen. Wie in anderen Dingen auch, können wir uns nur bemühen, das bestmögliche und verläßlichste Quellenmaterial zusammenzutragen und daraus zu Schlußfolgerungen zu gelangen, die völlig mit dem inspirierten Worte Gottes in Übereinstimmung sind. Wir werden allerdings den Versuch unternehmen, auf einige Punkte in dem uns übersandten Material einzugehen. Zuerst zum Ptolemäischen Kanon: Die Gesellschaft kann die Zahlenangaben des Ptolemäus für babylonische Könige nicht als untrügliche Richtschnur für die Chronologie dieser Periode akzeptieren. Der Ptolemäische Kanon setzt sich im Grunde aus zwei Teilen zusammen — Geschichte und astronomische Angaben. Ptolemäus hatte Zugang zu geschichtlichen Dokumenten mit den Angaben der Regierungszeiten babylonischer Könige, und es standen ihm astronomische Angaben zur Verfügung. Wenn er Eklipsen anführt, stimmen seine Angaben. Aber wenn er diese Angaben mit Regierungsjahren bestimmter Könige synchronisiert, ist das etwas ganz anderes. Es gibt keine Belege, daß Ptolemäus Dokumente aus der neubabylonischen Zeit zur Verfügung standen. Möglicherweise hatte er Zugang zu bestimmten „astronomischen Tagebüchern“, die zusammen mit Beobachtungen der Planetenkonstellationen den jeweiligen König und das Regierungsjahr angeben. Doch alle diese astronomischen Tagebücher, die bis heute erhalten blieben, stammen aus der Seleukidenzeit. Es sind Abschriften früherer Dokumente. Die älteren Dokumente selbst sind vielleicht wieder Abschriften von Originalen aus der neubabylonischen Zeit. Die Zahlenangaben des Ptolemäus für babylonische Könige stimmen mit anderen Zahlen auf solchen Abschriften astronomischer Tagebücher aus der Seleukidenzeit überein. Ein Beispiel dafür ist die Keilschrifttafel VAT 4956. Aus Deinen Angaben scheint hervorzugehen, daß Du im Besitz des Artikels über diese Tafel (und ihre deutsche Übersetzung) von Paul Neugebauer und Ernst Weidner aus dem Jahre 1915 bist. Auf Seite 38 des deutschen Textes [nach der englischen Ausgabe] wirst Du lesen: “Unsere Textfassung der Beobachtung stammt nicht aus dem Jahr -567/66 selbst. Sie ist vielmehr eine Abschrift aus weit späterer Zeit.”Der Autor weist auch auf folgendes hin: “Unsere Aufmerksamkeit gilt auch der Signatur … die auf die erste Zeile der nachfolgenden Tontafel verweist, die von Nebukadnezars 38. Regierungsjahr handelt. Unsere Tafel gehört daher zu einer Sammlung von Texten mit astronomischen Beobachtungen, die wahrscheinlich eine lange Zeitperiode umfaßte und als Grundlage eines theoretischen Werkes über Astronomie dienen sollte.” Es ist zwar richtig, daß derselbe Autor auf Seite 39 feststellt: “Was den Inhalt angeht, so ist unsere Abschrift natürlich ein getreues Bild des Originals.” Diese Aussage stimmt vielleicht für die astronomischen Angaben auf der Tontafel, aber sie muß nicht unbedingt für die geschichtlichen Einzelheiten stimmen. Die astronomischen Angaben auf dieser Tafel weisen wohl auf das Jahr -567/66 (568-567 v.u.Z.) hin, doch die Zuordnung der Tafel in das 37. Regierungsjahr Nebukadnezars ist vielleicht nur die Meinung eines Kopisten, der eine “Textsammlung mit astronomischen Beobachtungen” zusammengetragen und datiert hat, und zwar in “weit späterer Zeit”, gemäß der gängigen Chronologie, wie wir sie später bei Ptolemäus finden. Damit wollen wir nicht sagen, Bruder Jonsson, daß die Gesellschaft alle Zahlenangaben bei Ptolemäus als falsch ansieht. Beispielsweise gesteht Ptolemäus Nebukadnezar 43 Regierungsjahre zu, und diese Angabe wird von der Bibel selbst bestätigt. Chroniken aus dem antiken Babylon, die bis heute erhalten geblieben sind, umfassen nur relativ kleine Zeitabschnitte des neubabylonischen Reichs. Zum Beispiel liegen in Chroniken Angaben aus den ersten 11 Jahren Nebukadnezars und aus seinem 37. Regierungsjahr vor; sodann aus dem 3. Jahr Neriglissars, aber nichts über Amel-Marduk und Labaschi-Marduk. Und sie umfassen nur einen kleinen Teil der Herrschaft Nabonids. Die in diesen Chroniken genannten Regierungszeiten babylonischer Könige stehen zwar nicht im Widerspruch zum Ptolemäischen Kanon, doch diese Angaben an sich genügen noch nicht, um alle Zahlenangaben bei Ptolemäus vollständig und unumstößlich zu verifizieren. Was ist nun von der Harran-Stele des Nabonid, als NABON H 1, B, bezeichnet, zu halten? Aus Deinen Briefen scheint hervorzugehen, daß Du eine Kopie des Artikels über diese Stele besitzt, veröffentlicht in Anatolian Studies, Band 8, 1958. Wir stellen fest, daß der Ptolemäische Kanon für die Zeit zwischen dem Assyrerkönig Esarhaddon und dem Babylonier Nabopolassar 42 Jahre einräumt. Die Harran-Stele Nabonids gibt 42 Jahre für Assurbanipal an, den Nachfolger Esarhaddons. Doch noch vor Nabopolassar gibt diese Inschrift eine dreijährige Herrschaft für einen gewissen König Assur-etilu-ili an. Und es gibt eine Tontafel mit einem Vertrag aus dem 4. Jahr des Königs Assur-etilu-ili. C.J.Gadd, der NABON H 1, B ins Englische übersetzt hat, weist auf ein weiteres Problem hin: “Die Schwierigkeit wird noch größer, wenn man auch die Regierungszeit von Schin-schar-ischkun berücksichtigt, denn es haben sich genügend Anzeichen ergeben, daß er ebenfalls König von Assyrien war, ehe Nabopolassar den Thron bestieg … Man weiß nichts über die Verwandtschaftsverhältnisse Assur-etilu-ilis und Schin-schar-ischkuns, die beide Nachfolger Assurbanipals waren; einer war sein Sohn, wenn es nicht sogar beide waren. Aus Verträgen geht hervor, daß der erste wenigstens 4 Jahre und der zweite mindestens 7 Jahre regierte.” Derselbe Verfasser stellt fest: “Beim gegenwärtigen Wissensstand hat es kaum Zweck, Mutmaßungen darüber anzustellen, woher diese offensichtlichen Diskrepanzen kommen: (a) daß die Inschrift auf der Harran-Stelle anscheinend zwei weitere Jahre zwischen dem Tod Assurbanipals und der Thronbesteigung Nabopolassars erfordert, als unsere Beweise einschließlich des Ptolemäischen Kanons überhaupt zulassen; (b) daß die Königsherrschaft Schin-schar-ischkuns, die eigentlich vor der des Nabopolassar begonnen haben sollte, hier offenbar nicht in dem kurzen Zeitintervall enthalten ist, das dort auftaucht.” Diese Schwierigkeiten der Zeitzählung, wie sie sich sowohl aus den zeitgenössischen Keilschrifttexten als auch aus dem Ptolemäischen Kanon ergeben, haben die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern erregt. Angesichts der Fakten sind wir weder gezwungen noch geneigt, die Zahlenangaben im Ptolemäischen Kanon als unfehlbare Richtschnur für die Chronologie anzusehen. Zu Handelsurkunden wie den Tafeln des Hauses Egibi [Anm. des Übersetzers: Egibi & Söhne, wie man heute sagen würde, war ein viele Generationen bestehendes Handelsunternehmen in Babylonien]: Man weiß, daß es Tontafeln für alle im Ptolemäischen Kanon angegebenen neubabylonischen Könige gibt. Aber kann man auch zweifelsfrei sagen, daß es Tafeln des Hauses Egibi für jedes Jahr eines jeden Königs dieser Zeitperiode gibt? Kann man mit Sicherheit sagen, daß keiner dieser Könige etwa in einem Jahr regierte, für das es keine Tafeln aus dem Hause Egibi gibt? Sicher nicht! Während der Herrschaft Darius’ I. gibt es keine Aufzeichnungen aus dem Hause Egibi für sein 7., 32., 33., 34. und 36. Jahr. Natürlich könnten wir deshalb nicht sagen, daß dieser König während der fraglichen Jahre auch nicht regierte, weil es für diese Jahre ja keine Tontafeln gibt. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, daß neubabylonische Könige nur während der Jahre regierten, für die es solche Tontafeln gibt. Zum Synchronismus der ägyptischen Chronologie mit babylonischen Königen sowie Herrschern des Königreiches Juda: Es gibt keine Regierungszeit nach Nebukadnezar, deren Länge durch eine Inschrift auf einer Stele bestimmt werden kann. Wir sehen keinen Grund, Zahlenangaben abzulehnen, die Synchronismen mit Königen in Babylon und Juda vor der Zeit Nebukadnezars darstellen. Doch für die Regierungszeiten danach, beispielsweise für Amasis und Psammetich III., weichen die historischen Quellen voneinander ab. Eine Quelle, so Manetho, schreibt ihm 44 Jahre zu. Doch Syncellus zitiert Manetho mit der Angabe von nur 42 Jahren. Die höchste Zahl, die man für Amasis aus Monumenten kennt, ist 44. Und Diodor von Sizilien (I, 68) schreibt diesem König interessanterweise 55 Jahre zu. Psammetich III. schreibt Manetho eine Regierungszeit von sechs Monaten zu. Die höchste Zahl, die man auf einem Monument für diesen König kennt, ist 2 Jahre; und ein in der Publikation Notice des papyrus démotiques archaíques (von Revillout) erwähntes Dokument gibt für einen König Psammetich, vom dem der Autor behauptet, es handle sich um Psammetich III., vier Jahre an. Einige historische Quellen geben also für die Regierungszeiten der Könige Amasis und Psammetich III. mehr Jahre an als die gängige Lehrmeinung. Was die Jahre der Herrschaft Psammetichs betrifft, so sagen einige Gelehrte (Unger, Wiedemann, Petrie), er habe 526 und 525 v.u.Z. regiert, andere hingegen (Krall und Spiegelberg) halten eher die Jahre 528 und 527 v.u.Z. für richtig. Können wir angesichts dessen mit Sicherheit sagen, daß die Chronologie für die 26. Dynastie in Ägypten ganz eindeutig die Zahlen des Ptolemäischen Kanons für die neubabylonische Zeit bestätigt? Sicher können wir keine solche Behauptung aufstellen. Wir stellen fest, daß Du in Deiner Abhandlung “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet”, beginnend auf Seite 51, die Meinung vertrittst, die Babylonische Gefangenschaft habe im Thronbesteigungsjahr Nebukadnezars begonnen. Als eine Beweislinie hierfür zitierst Du die von Wisemann veröffentlichte Babylonische Chronik, wo es unter anderem heißt: “Damals eroberte Nebukadnezar das gesamte Hatti-Land.” In der in Assyrian and Babylonian Chronicles erschienenen Übersetzung von A.K.Grayson heißt es an dieser Stelle allerdings nicht “Hatti-Land”, sondern “Ha(ma)th”. Grayson sagt dazu in einer Anmerkung: “Kur Ha-[ma-a]-tu: eine Rekonstruktion als Ha-[at]-tu ist abzulehnen; dies erscheint an anderen Stellen in dieser Chronik als Hat-tu.” Bei der Schlacht von Karkemisch unterwarf sich Nebukadnezar “ganz Syrien, ausgenommen Juda.” Dies stimmt mit der Bibel überein. Bei Jeremia heißt es, daß Nebukadnezar “im siebten Jahr”, „im achtzehnten Jahr“ und im “dreiundzwanzigsten Jahr” seiner Herrschaft Juden gefangennahm (Jer. 52: 28-30). Daß Nebukadnezar “großen Tribut” aus Hatti-Land entgegennahm, muß nicht bedeuten, daß die siebzig Jahre der Babylonischen Gefangenschaft begonnen hatten. Heidnische Könige vor Nebukadnezar hatten sich Juda ebenfalls tributpflichtig gemacht. Noch einmal, Bruder Jonsson, möchten wir unsere Wertschätzung für die große Arbeit zum Ausdruck bringen, die Du bei dem uns eingesandten Material geleistet hast. Es sind viele wertvolle Beobachtungen aus der Bibel wie auch aus weltlichen Quellen dabei, und wir werden es archivieren, um gegebenenfalls daraus zitieren zu können. Doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Gesellschaft nicht die Absicht, zu den schon vorliegenden Publikationen zu diesem Thema noch weitere oder solche herauszugeben, die die Fragen anders behandeln. Trotzdem könnte etwas in dieser Art in der Zukunft möglich sein, so wie unser Kenntnisstand immer besser wird. Noch einmal möchten wir Dir für den erheblichen Aufwand an Zeit und Mühe danken, den Du geleistet hast, um ein verbessertes Verständnis eines höchst komplizierten Themas voranzubringen. Herzliche Grüße. Deine Brüder,
Watchtower Bible & Tract Society of New York, Inc. |
Carl Olof Jonsson an Wachtturm-Gesellschaft – 31. März 1980
Schweden, 31. März 1980 Liebe Brüder: Euer Brief vom 28. Februar 1980 ist etwa vor zwei Wochen hier angekommen. Zuerst möchte ich Euch mitteilen, daß ich mich sehr darüber gefreut habe, besonders über die Art, in der er geschrieben war: Ihr seid auf das Thema Chronologie — im Geiste brüderlicher Liebe und Achtung — eingegangen und nicht etwa auf den Fragesteller, seine Beweggründe (ob er illoyal, abtrünnig, anmaßend usw. ist), sein Recht, sich mit dem Thema zu befassen und frühere Schlußfolgerungen anzuzweifeln, sein Recht, seine gewonnenen Erkenntnisse mit Freunden zu teilen und sie um ihre Meinung zu bitten, usw. — als ob dies das Problem sei. Denn wenn eine Feuersirene losgeht, ist es unangebracht zu schließen, mit dem Alarm sei etwas nicht in Ordnung und eine genauere Prüfung, um ihn in Ordnung zu bringen, löse das Problem. Ich empfinde es als ermutigend, daß Ihr in Eurem letzten Brief Euren Blick sozusagen auf das “Feuer” gerichtet habt. Ich habe mich auch darüber gefreut, daß Bruder Bengt Hanson mich letzten Dezember von sich aus zu einem Privatgespräch aufgesucht und Euch danach in einem Brief meine Situation geschildert hat. Natürlich verstehe ich sehr gut, daß es für Euch unmöglich ist, einen ausgedehnten Briefverkehr mit mir über das Thema Chronologie aufzunehmen und jede Einzelheit in meiner Abhandlung (“Die Zeiten der Nationen näher betrachtet”) zu diskutieren. Andererseits antworte ich sofort auf Euren Brief, zum Teil, weil die gegen meine Schlußfolgerungen vorgebrachten Punkte eindeutig nicht stimmen, was man leicht zeigen kann, und teilweise auch, weil ich zusätzlich zu den früher in der Abhandlung genannten zwei weitere Beweislinien gegen das Datum 607 v.u.Z. vorstellen will. Das tue ich nicht, weil ich Spaß an “Streitfragen” und “Debatten” habe, oder weil ich beweisen will, daß ich recht habe und Ihr unrecht. Wer recht hat, ist nicht wichtig. Was richtig ist, ist wichtig. Wahrheit und Fakten sind Gemeingut aller, die sie lieben. Darum, denke ich, sollte ich antworten. Wer aufrichtig Wissenschaft betreibt (eigentlich auch jeder, der die Wahrheit liebt) ermuntert zu Reaktionen und wohlwollender Kritik, da er damit die Gelegenheit erhält, Fehler zu berichtigen und mit seinen Gedanken näher an die Wahrheit zu kommen. Ich setze voraus, daß das auch Eure Einstellung ist, und da Ihr in Eurem Brief schreibt: “Wir werden alles lesen und sorgfältig überdenken”, bin ich zuversichtlich, daß Ihr die Kritik und die weiterführenden Informationen auf den folgenden Seiten sorgfältig und ohne vorgefaßte Meinung überdenken werdet. Offen sein für die Wahrheit; der Mut, sich in die Wahrheit zu vertiefen; die Bereitschaft, sie zu akzeptieren, wenn sie so offensichtlich ist, egal als was sie sich herausstellt — das sind die Kennzeichen einer Person, die die Wahrheit liebt, eines wahren Christen. Es wäre töricht, viel Zeit und Mühe aufzuwenden, um bis zum Äußersten eine bestimmte Idee oder Auslegung zu verteidigen, nur weil man an ihre Stelle nichts anderes setzen kann, wenn alle Beweise, die uns zur Verfügung stehen, darauf hinweisen, daß sie nichts mit der Realität zu tun hat. Und wenn eine solche Idee oder Auslegung trotzdem veröffentlicht, gepredigt oder bei Millionen Menschen verbreitet und nicht als bloße Theorie, sondern als christliche Grundlehre vorgestellt wird, deren Ablehnung angeblich den Zorn Gottes weckt, dann wäre das mehr als töricht. Es wäre eine schwere Sünde, für die Jehova uns verantwortlich macht. Die von Euch vorgebrachten Punkte werden nacheinander einzeln unter verschiedenen Überschriften erörtert. Solltet Ihr mir ein paar Zeilen dazu schreiben und mitteilen wollen, was Ihr von den nachfolgenden Angaben haltet, würde ich mich sehr darüber freuen. Wenn Ihr denkt, ich könnte Euch bei den weiteren Nachforschungen zu dem Thema von Hilfe sein, vielleicht indem ich zu einem einzelnen Punkt Weiteres mitteile oder Euch benötigtes Material sende, dann bittet mich nur darum. Es tut mir leid, daß der Brief mit der Erörterung auf den folgenden Seiten so lang geworden ist. Dennoch habe ich versucht, die Dinge so kurz wie möglich darzulegen. Ich hatte erst vor, noch weiteres Material zum Thema hinzuzufügen, aber das könnte ich, falls erforderlich, in einem späteren Brief tun. Brüder, ich danke Euch nochmals für Euren freudlichen Brief! In christlicher Verbundenheit. Euer Bruder, Carl Olof Jonsson Anlage: 1. Briefwechsel Jonsson – Sachs. 2. Ein paar Seiten aus J. Oates’ Artikel in Iraq XXVII,, 1965.
DER PTOLEMÄISCHE KANON Eure ersten Anmerkungen betreffen den Ptolemäischen Kanon, und Eure Feststellung, der Kanon könne nicht als “untrügliche Richtschnur” für die Chronologie der babylonischen Zeit angesehen werden, ist natürlich richtig. Das war im Grunde das, was auch ich in meiner Abhandlung gesagt habe. Die Zahlenangaben bei Ptolemäus sind von neuzeitlichen Historikern nicht deshalb akzeptiert worden, weil der Kanon an sich als untrügliche Richtschnur für die babylonische Zeit und spätere Perioden betrachtet wird, sondern weil (1) seine Zahlen durch eine Anzahl älterer Quellen für die Chronologie dieser Zeit bestätigt wurden, von denen einige aus der neubabylonischen Zeit stammen; weil (2) Ptolemäus in seinem großen Werk Almagest die Zeitrechnung in seinem Kanon als absolute Zeitrechnung präsentiert, untermauert durch eine Menge astronomischer Daten aus alten Quellen. Seine Berechnungen sind von einer Anzahl heutiger Astronomen nachgeprüft worden, und überdies: Neuzeitliche Entdeckungen antiker astronomischer Tontafeln, besonders sogenannte astronomische “Tagebücher”, haben die heutigen Astronomen und Historiker in die Lage versetzt, die absolute Chronologie fast der gesamten Periode, die der Ptolemäische Kanon umfaßt, zu bestimmen — unabhängig vom Ptolemäus und seinen Aufzeichnungen über (Mond-)finsternisse und damit als eine unabhängige Bestätigung seiner Chronologie. Heute ist daher nicht der Ptolemäische Kanon entscheidend, sondern die älteren Urkunden und Quellen, die ihn bestätigt haben: astronomische Tagebücher, Handelsoder Verwaltungsurkunden, Chroniken, Königslisten, babylonische und ägyptische Stelen aus jener Zeit, usw. — und die Bibel. Ich habe mit Interesse Eure Aussage über Ptolemäus zur Kenntnis genommen: “Wenn er Eklipsen anführt, stimmen seine Angaben” (Seite 1, [Seite 29 dieser Ausgabe]). Eine der Mondfinsternisse alter Zeit, die er aufgezeichnet hat, ist in das fünfte Jahr Nabopolassars datiert (Almagest, V 14, S. 340), von heutigen Astronomen als Mondfinsternis am 22. April 621 v.u.Z. identifiziert. Das setzt natürlich Nebukadnezars erstes Regierungsjahr auf 604 v.u.Z. fest (da Nabopolassar, sein Vater, 21 Jahre regierte), und sein 18. Jahr (als er Jerusalem verwüstete) auf 587 v.u.Z. Vor einigen Jahren ist mir aufgefallen, daß im Aid-Buch der Versuch gemacht wird, diese Mondfinsternis als eine 20 Jahre frühere, die vom 1. Juni 641 v.u.Z., zu identifizieren, um die Chronologie im Aid-Buch stimmig sein zu lassen. Zur Stütze für diese Identifikation wird hinzugefügt: “Diese frühere Mondfinsternis war eine totale (d.h. 12 Zoll oder mehr) im Vergleich zu der sehr kleinen von 621 v.u.Z., die nur 1,6 Zoll hatte” (Seite 331:3, englische Ausgabe, Anmerkung der Herausgeber: Auch dieser Absatz fehlt in dem Nachfolgewerk „Einsichten über die Heilige Schrift“ ). Diese Aussage zeigte mir, daß der Verfasser des Artikels im Aid-Buch die Beschreibung nach der Aufzeichnung des Ptolemäus nie gelesen und nachgeprüft hatte, wie unvereinbar diese Beschreibung mit seiner Alternatividentifizierung ist. Die Quelle des Ptolemäus gab eine ziemlich genaue Beschreibung dieser Mondfinsternis einschließlich der Höhe. Es wird eindeutig gesagt, daß es eine kleine war und daß nur ein Viertel des Monddurchmessers verdunkelt war. Daß die Finsternis vom 1. Juni 641 v.u.Z. eine totale war, stützt nicht diese Identifikation, es macht sie tatsächlich unmöglich! Ich finde diesen Irrtum um so bemerkenswerter, als der Verfasser zuvor in seinem Artikel deutlich betont, wie wichtig es ist zu wissen, ob eine Finsternis total war oder nicht. Auch andere Einzelheiten (der Monat, der Tag, die Nachtzeit, usw.) schließen die Finsternis vom 1. Juni 641 v.u.Z. aus und machen diejenige vom 22. April 621 v.u.Z. zur einzig möglichen, auf die die Beschreibung paßt. (Der kürzlich von R.R. Newton unternommene Versuch zu “beweisen”, daß Ptolemäus einige seiner aufgezeichneten Mondfinsternisse erfunden hat, scheint ein Irrtum gewesen zu sein: soweit ich weiß, sind seine “Beweise” von allen kompetenten Gelehrten zurückgewiesen worden). Das ist nur einer von vielen Irrtümern, die mir beim Prüfen des Artikels im Aid-Buch über “Chronologie” aufgefallen sind. Entschuldigt, wenn ich darauf hinweise, aber ich hoffe, daß solche Fehler in künftigen Ausgaben dieses sonst ausgezeichneten und äußerst wertvollen Bibellexikons berichtigt werden. ASTRONOMISCHE “TAGEBÜCHER”: VAT 4956 — UND BM 32312 In Eurer Stellungnahme zu VAT 4956 wiederholt Ihr Euer früheres Argument (Aid, S.331:8 [engl.], in meiner Abhandlung auf Seite 39 besprochen): “Die astronomischen Angaben auf dieser Tafel weisen wohl auf das Jahr -567/66 (568-567 v.u.Z.) hin, doch die Zuordnung der Tafel in das 37. Regierungsjahr Nebukadnezars ist vielleicht nur die Meinung eines Kopisten, der eine ‘Textsammlung mit astronomischen Beobachtungen’ zusammengetragen und datiert hat, und zwar in ‘weit späterer Zeit’” usw. Was Ihr damit sagen wollt, ist, daß die astronomischen Tagebücher nicht im Original datiert waren, sondern daß diese Daten (wie z.B. das “37. Regierungsjahr Nebukadnezars”) von späteren Abschreibern in den Text eingefügt wurden. Ist das eine plausible Erklärung, oder ist es der verzweifelte Versuch, einen Text wegzuerklären, der sonst ein für allemal das Datum 607 v.u.Z. lädieren und 587 v.u.Z. als absolutes Datum für Nebukadnezars 18. Regierungsjahr bestätigen würde? Normalerweise enthielten die astronomischen Tagebücher sehr detaillierte Angaben über die Stellung des Mondes und die fünf (damals bekannten) Planeten sowie andere Angaben (meteorologische Ereignisse, Erdbeben, Marktpreise, manchmal auch historische Ereignisse). Wie Ihr darauf hinweist, ist VAT 4956 vom Beginn des 37. bis zum Beginn des 38. Regierungsjahres Nebukadnezars datiert, doch das ist nicht alles: Fast alle in dem Text erwähnten Ereignisse sind durchgängig datiert, mit Angabe des Monats, des Tages der Tages- (oder Nacht-)zeit, usw. Etwa vierzig Angaben dieser Art sind für Nebukadnezars 37. Regierungsjahr angegeben, und natürlich war es nicht nötig, das Regierungsjahr bei all diesen Stellen anzugeben, da dieses zu Beginn eines jeden Jahres angegeben wurde (wie auch in anderen Urkunden wie Annalen oder Chroniken). Haltet Ihr es wirklich für wahrscheinlich, daß die Originaltexte alle diese Angaben während eines Jahres enthielten, aber nicht das Regierungsjahr am Beginn eines jeden Jahres? Man muß es mit Sicherheit als äußerst unwahrscheinlich ansehen, daß die babylonischen Astronomen eine solche wichtige Einzelheit ausgelassen hätten! Alle Texte dieser Art, die entdeckt wurden (etwa 1200 Bruchstücke von astronomischen Tagebüchern wurden entdeckt; ein Drittel davon ist so gut erhalten, daß man sie datieren kann), sind auf das [jeweilige] Jahr des herrschenden Königs datiert. Wurden diese Daten alle von späteren Abschreibern eingefügt? Die meisten der Tagebücher handeln von der Zeit von 385 – 60 v.u.Z., aber eine Anzahl von ihnen sind Abschriften aus späterer Zeit. Und jetzt möchte ich ein weiteres Tagebuch vorstellen, älter als VAT 4956, das wiederum die Chronologie im Ptolemäischen Kanon bestätigt und die Jahreszahl 607 v.u.Z. widerlegt. In einem Artikel mit der Überschrift “Babylonian observational astronomy”, erschienen in Philos. Trans. Royla Soc. London, ser. A. 276 (1974), Seiten 43-50, stellt Prof. Abraham Sachs (der Gelehrte, der für diese Texte den Begriff “Tagebücher” prägte und heute zweifellos die führende Autorität auf dem Gebiet astronomischer Tagebücher ist) die Tagebücher kurz vor. Auf Seite 48 erwähnt, daß das älteste datierbare Tagebuch aus dem Jahre 652 v.u.Z. stammt, und sagt: “Die astronomischen Daten reichten nur ganz knapp aus, um dieses Datum sicher anzugeben. Ich war sehr erleichtert, als ich das Datum durch die Übereinstimmung einer auf der Tafel enthaltenen historischen Angabe mit einer entsprechenden Angabe für –651 in einer gut datierten historischen Chronik bestätigen konnte.” (Unterstreichung von mir). Dies schien ein Text von großer Bedeutung für die Frage der babylonischen Chronologie zu sein, und da der Text und seine Übersetzung bis dahin noch nicht publiziert waren, schrieb ich an Prof. Sachs und stellte ihm zwei Fragen: 1. Welche Information in dem Tagebuch läßt das Datum -651 als “ganz sicher” erscheinen? 2. Von welcher Art ist die historische Angabe in dem Tagebuch, und mit welcher Angabe in welcher gut datierten Chronik stimmt sie überein? In seinem Antwortschreiben gab mir Prof. Sachs alle Auskünfte, um die ich gebeten hatte, und schickte mir sogar eine Fotokopie (fast so gut wie seine Fotografie) des fraglichen Tagebuchs BM 32312. Von besonderem Interesse ist, daß Euer Argument, die Tagebücher seien vielleicht von Abschreibern aus viel späterer Zeit datiert worden, auf dieses Tagebuch nicht zutrifft, da “sowohl Jahresangabe als auch Monatsnamen weggebrochen sind” und, dank der geschichtlichen Anmerkung im Tagebuch, diese Angaben dennoch aus einer anderen Quelle entnommen werden können. Erstens steht das Jahr — 652 v.u.Z. — durch die astronomische Angabe fest. Sachs schreibt: “Die erhaltenen astronomischen Ereignisse (letzte Sichtbarkeit von Merkur hinter den Fischen, letzte Sichtbarkeit von Saturn hinter den Fischen, beides um den 14. Tag des 1. Monats; Stillstand des Mars im Skorpion am 17. Tag des ersten Monats; erste Sichtbarkeit des Merkurs in den Fischen am 6. Tag des 12. Monats) legen das Datum eindeutig fest.“ Zweitens heißt es in dem Tagebuch, der König von Babylon sei am 27. Tag des 12. Monats in eine Schlacht an einem Ort namens Hirit verwickelt. Wenn die Chronik des Ptolemäus stimmt, dann wurde diese Schlacht im 16. Jahr des Schamasch-schumukin ausgetragen. Gibt es dafür eine Bestätigung? Ja. Wie Sachs sagt, finden wir diese Angabe in einer bekannten Chronik. Bei der Chronik handelt es sich um die sogenannte “Akitu-Chronik”, BM86379, zuletzt übersetzt von A.K.Grayson in Assyrian and Babylonian Chronicles (1975), Seiten 131, 132. Die Chronik behandelt einen Teil der Herrschaft Schamaschschumikins, eingeschlossen sein 16. Jahr. Es wird nicht nur die Schlacht von Hirit erwähnt, sondern auch Tag und Monat, an dem sie stattfand, genau wie in dem Tagebuch. Die Chronik (Obv.13-16) sagt: “Am 27. Adar (dem 12. Monat) kämpften die Heere Assyriens und Akkads in Hirit. Die Truppen Akkads zogen sich vom Schlachtfeld zurück und erlitten eine große Niederlage. (Doch) es gab immer noch Feindseligkeiten (und) Kämpfe.” Ich bin sicher, daß Euch bewußt ist, was diese Aussage bedeutet. Die astronomischen Ereignisse, die in dem Tagebuch beschrieben werden, setzen das Datum für die Schlacht von Hirit auf den 27. Adar 652 v.u.Z. Die “Akitu-Chronik” belegt eindeutig, daß diese Schlacht an besagtem Ort und Tag im 16. Regierungsjahr des Schamasch-schumukin ausgetragen wurde. Also war 652 v.u.Z. das 16. Jahr des Schamasch-schumukin. Aber das ist auch das Jahr, das im Ptolemäischen Kanon für Schamasch-schumukins 16. Jahr angegeben wird! Wie so oft zuvor wird der Ptolemäische Kanon auch hier wieder bestätigt, und das bei einem Punkt, wo gleichzeitig wiederum das Datum 607 v.u.Z. widerlegt wird. Wenn man die Zerstörung Jerusalems, die im 18. Jahr Nebukadnezars stattfand, in das Jahr 607 v.u.Z. legt, beeinträchtigt das alle Daten vor Nebukadnezars 20. Regierungsjahr. Damit würde man beispielsweise das 16. Jahr Schamasch-schumukins auf 672 v.u.Z. und nicht 652 v.u.Z. legen. Aber das widerlegt dieses neue Tagebuch, das ein weiteres unabhängiges Zeugnis zur Stützung des Datums 587 v.u.Z. für die Zerstörung Jerusalems ist. Prof. Sachs sagt in seinem Brief weiter: “Ich sollte vielleicht noch hinzufügen, daß die absolute Chronologie der Herrschaftsjahre Schamasch-schumukins nie in Zweifel stand. Sie wird nur wieder durch das astronomische Tagebuch bestätigt.” Den Briefwechsel und das Material, das er mir geschickt hat, reiche ich mit diesem Brief an Euch weiter. DIE HARRAN-STELE NABONIDS UND DIE BABYLON-STELE NABONIDS Eure Stellungnahme zu den neubabylonischen Chroniken stimmen mit den genaueren Angaben in meiner Abhandlung, Seiten 28,29, überein. Daher will ich gleich zu Euren Einwänden gegen die Harran-Inschrift übergehen. Ihr seid der Meinung, daß die Harran-Inschrift Anlaß zu Zweifeln gibt, weil sie vor Nabopolassar anscheinend eine dreijährige Herrschaft für den Assyrerkönig Assur-etilu-ili angibt, während Handelsurkunden bis in das 4. Jahr hinein vorliegen. Aber seit Gadd die Übersetzung des Textes im Jahre 1958 veröffentlichte, haben andere die Schwierigkeiten, auf die er hinwies, untersucht und Lösungen vorgeschlagen. Die wichtigsten Studien stammen von Wolfgang von Soden (ZA, Band 58, 1967, Seiten 241-255), Joan Oates (Iraq, Band 28, 1965, Seiten 135-159) und Julian Reade (JCS, Band 23, 1970, Seiten 1-9). Nach dem Tod des Assyrerkönigs Assurbanipals und Kandalanus von Babylon (diese Könige sind vielleicht identisch und Kandalanu ist der babylonische Thronname Assurbanipals) im Jahre 627 v.u.Z. wurde das legitime Recht Assur-etiluilis auf den Thron erst von einem General mit Namen Schin-schum-lischir und dann von einem Bruder Assur-etilu-ilis, Schin-schar-ischkun, bestritten. Dies hatte einen Bürgerkrieg zur Folge, und Nabopolassar, ein Militärbefehlshaber im südlichen Reichsgebiet, nutzte die Lage zu seinem Vorteil und bemächtigte sich des babylonischen Thrones. Dann operierten einige Jahre lang wenigstens drei Armeen gleichzeitig in Babylonien, und es ist verständlich, daß eine Anzahl Städte mehr als einmal die Seiten wechselten, weil nicht mehr klar war, welche Macht als die legitime anzusehen war. Die verworrene Lage spiegelt sich in allen Urkunden aus dieser Zeit wider; in der einen Stadt wurde Assur-etilu-ili als König angesehen, in einer anderen sein Bruder Schin-schar-ischkun. Oates zeigt in seinem Artikel zwar, daß Adda-Guppi, die Mutter Nabonids und eine Priesterin des Schin-Heiligtums in Harran, Harran im 3. Jahr des Assur-etiluili verließ und nach Babylon zog, doch in Wirklichkeit sagt die Harran-Inschrift an keiner Stelle, daß dies sein letztes Jahr war, wie Gadd geschlossen hatte. Seit dieser Zeit diente Addar-Guppi unter babylonischen Königen. Reade, der diese grundlegende Schlußfolgerung teilt, zeigt in seinem Artikel, wie alle verwirrenden Urkunden aus jener Zeit miteinander in Einklang gebracht werden können. Die vorgeschlagenen Lösungen sind in Übereinstimmung mit der Harran-Inschrift, die sich bei dem Versuch, Licht in die Ereignisse dieser chaotischen Zeit zu bringen, sogar noch als sehr hilfreich erwiesen hat. So besteht wohl kein Grund, eine überkritische Haltung gegenüber der Harran-Inschrift an den Tag zu legen. Wenn Ihr doch noch einen solchen Grund seht, dann denkt daran, daß eine weitere Stele aus der Regierungszeit Nabonids existiert, die NABONID-STELE AUS BABYLON (1896 entdeckt), die die Länge der Regierungszeiten bestätigt, die auf der Harran-Stele für die babylonischen Könige angegeben sind! Diese Stele (cf. Gadd, S. 73; ich habe dieses zusätzliche Beweisstück in meiner Abhandlung nicht behandelt) wurde augenscheinlich im 2. Regierungsjahr Nabonids hergestellt (siehe die Besprechung von P.-R.Berger in Die Neubabylonischen Königsinschriften, Band I, 1973, S.110ff). Nach der in Pritchards ANET, S.308-311, veröffentlichten Übersetzung heißt es auf dieser Stele,„der Tempel e.´hul.hul in Harran lag 54 Jahre lang in Trümmern“, bis Nabonid zu Beginn seiner Herrschaft Maßnahmen zu seiner Restaurierung einleitete. Nun wird die Zerstörung des Tempels in Harran sowohl in der Harran-Inschrift als auch in der Chronik BM 21901 in das 16. Jahr Nabopolassars (d.h. 610/609 v.u.Z.) datiert. Wenn wir die bis zum Beginn der Herrschaft Nabonids verbleibenden Regierungsjahre nach der Harran-Inschrift zusammenzählen — 5+43+2+4 —, erhalten wir genau 54 Jahre! Wenn Ihr also meint, man solle die Angaben auf der Harran-Stele ablehnen, was ist dann mit denselben bestätigenden Angaben auf der Babylon-Stele Nabonids? Muß man die auch ablehnen? Uns warum? Sollten wir jeden neuen Beweis ablehnen, der unseren Theorien entgegensteht? Ist das eine gute Vorgehensweise? Wird uns das der Wahrheit näherbringen? DIE TONTAFELN DES HAUSES EGIBI – UND TAUSENDE WEITERER HANDELSURKUNDEN Wiederum wiederholt Ihr nur das Argument aus dem Aid-Buch (darüber schreibe ich in meiner Abhandlung, S. 32,33), daß wir zwar viele Tontafeln aus Handel und Verwaltung für alle Jahre der neubabylonischen Könige gemäß dem Ptolemäischen Kanon haben, daß es aber doch eine Zeit von 20 Jahren geben könnte, für die Tontafeln fehlen. Ihr bezieht Euch darauf, daß es in der Sammlung des Hauses Egibi keine Tontafeln für das 7., 32., 33., 34. und 36. Jahr des Perserkönigs Darius gibt. Nun, Boscawen und andere Gelehrte nach ihm haben betont, daß es der Firma Egibi & Söhne von der Zeit Nebukadnezars bis zur Zeit des Darius gut ging. Die Tontafelsammlung dieser Firma, die 1875-76 entdeckt wurde, endet mit Darius. In der Sammlung wurden keine Tafeln aus den Regierungszeiten späterer Könige entdeckt. Und Tafeln aus der Sammlung, die aus den letzten Regierungsjahren des Darius stammen, sind selten. Aber die Herrschaft des Darius begann fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende der neubabylonischen Ära. Was als wichtig zu bedenken ist: die Tafeln umfassen die Regierungszeiten aller neubabylonischen Könige, von deren Existenz wir nicht nur aus dem Ptolemäischen Kanon wissen, sondern auch aus einer Anzahl früherer Urkunden, von denen einige aus der neubabylonischen Zeit stammen. Was man noch im Sinn behalten sollte: die Egibi-Tafeln sind nur ein Teil von vielen Tausenden Vertragsurkunden aus dieser Zeit. Auch die anderen Tontafeln aus Handel und Verwaltung geben für die Regierungszeiten der neubabylonischen Könige jeweils dieselbe Länge an! Das habe ich auch in meiner Abhandlung aus den Seiten 31ff betont. Natürlich gibt es auch für jedes Regierungsjahr des Darius Tontafeln. Mein Argument, das sich aus diesen Beweisen ergibt, habt Ihr bis heute nicht beantwortet: Wenn es im Verlaufe der neubabylonischen Ära eine zusätzliche Zeitspanne von 20 Jahren gibt, warum haben wir dann so viele Tafeln aus jedem Jahr der neubabylonischen Könige, die man kennt, und zwar nicht nur aus dem Ptolemäischen Kanon, sondern aus allen früheren (und manchmal zeitgenössischen) Urkunden, der Harran-Inschrift und Inschriften auf Gebäuden, Chroniken, Königslisten, von Berossus, usw., und sie alle geben jeweils die bekannten Längen für die Regierungsjahre der Könige an — aber es gibt nicht eine einzige Tontafel aus dem 20-Jahres-Zeitraum, um den Ihr die neubabylonische Zeit gerne erweitern möchtet? Und weiter: Warum fehlen die Tausende von Tontafeln, die doch während dieser angeblichen Zeit von 20 Jahren geschrieben worden sein mußten, ausgerechnet für denselben 20-Jahre-Zeitraum, der auch in allen anderen Urkunden fehlt — und nicht aus irgendwelchen anderen 20 Jahren? Und weiter: Warum fehlen Tontafeln aus genau 20 Jahren? Warum nicht aus 17, 13, 7 oder auch aus verschiedenen, über die ganze neubabylonische Zeit verteilten Jahren? Wer reiste da im neubabylonischen Reich umher, nahm all die vielen Tausende von Handelsurkunden aus diesen zwanzig Jahren weg und versteckte oder zerstörte sie, ehe die neuzeitlichen Archäologen begannen, in den Ruinen babylonischer Städte Tempel- und öffentliche Archive usw. auszugraben? Von Zeit zu Zeit werden neue Mengen Tontafeln entdeckt, übersetzt und — manchmal — veröffentlicht, aber der 20-Jahre-Zeitraum, nach dem wir suchen, zeigt sich nirgends. In meiner Abhandlung habe ich das so formuliert: “Wenn man viele tausend Male einen Würfel wirft, ohne jemals eine Sechs zu erhalten, wird man am Ende zu dem Schluß kommen müssen: Der Würfel hat gar keine Sechs.” Und dasselbe gilt für die gesuchten 20 Jahre: Sie zeigen sich nirgends, weil es sie einfach nicht gibt. So wie Ihr ein Argument wiederholt habt, auf das ich schon eine Antwort gegeben hatte, habe ich nun mein Argument wiederholt, auf das Ihr mir noch keine Antwort gegeben habt. DIE 26. DYNASTIE IN ÄGYPTEN: AMASIS UND PSAMMETICH III. In “Die Zeiten der Nationen näher betrachtet”, Seiten 39-44, habe ich eine Anzahl von Synchronismen zwischen Herrschern in Ägypten, Babylonien und Juda erwähnt, von denen drei in der Bibel genannt werden (2.Könige 23:29; Jeremia 46:2, 44:30). Ich habe gezeigt, daß die ägyptische Chronologie für diese Periode unabhängig aus zeitgenössischen ägyptischen Quellen aufgestellt wurde. Und doch stimmen alle Synchronismen völlig mit 587 v.u.Z. als Zeitpunkt der Zerstörung Jerusalems überein, wobei die Abweichung für dieses Ereignis vom Datum 607 v.u.Z. durchgängig 20 Jahre beträgt. Daher stellt die zeitgenössische ägyptische Chronologie ein weiteres unabhängiges Zeugnis gegen das Datum 607 v.u.Z. dar. In Eurem Brief versucht Ihr, diese starke Beweislinie dadurch zu untergraben, daß Ihr auf die widersprüchlichen Zahlenangaben späterer Historiker, Diodor und Syncellus, hinweist. Doch wenn man eine Chronologie aufstellt, lassen sich zeitgenössische Dokumente natürlich nicht durch die Zahlen von Historikern einer viel späteren Zeit widerlegen oder auch nur anzweifeln. Ihre Zahlenangaben haben sich oft als entstellt erwiesen, und diese Entstellung nimmt gewöhnlich mit wachsendem zeitlichem Abstand der Historiker von der entsprechenden Zeitperiode zu. Manethos Zahlen zum Beispiel sind am besten erhalten bei Julius Africanus (221/222 u.Z.; cf Waddell in Manetho, London 1948, Seiten xvi, xvii), und seine Angaben für Amasis und Psammetich III. Stimmen mit den zeitgenössischen Quellen überein, wie auch die Zahlen bei Herodot, dem Historiker, der der Zeit von Amasis und Psammetich III. am nächsten lebte (Herodot wurde etwa 484 v.u.Z. geboren, also etwa 40 Jahre nach Psammetich III. Auf seiner Reise durch Ägypten konnte Herodot also Personen angetroffen haben, die vor der Regierungszeit Psammetichs III. geboren wurden). Diodor von Sizilien andererseits lebte während der Herrschaft von Julius Caesar und Kaiser Augustus, mehr als 500 Jahre nach Psammetich III., und Syncellus schrieb sein Werk gegen Ende des achten nachchristlichen Jahrhunderts, also mehr als 13 Jahrhunderte nach Psammetich! Glaubt Ihr wirklich, die Zahlenangaben dieser beiden späten Historiker könnten herangezogen werden, um die Zahlen in zeitgenössischen Quellen in Zweifel zu ziehen? Über die Historiker des klassischen Altertums (griechisch und römisch) heißt es im Aid-Buch: “Sie alle lebten nach der assyrischen und der neubabylonischen Zeit … Was die assyrische und die neubabylonische Epoche betrifft, so schildert keiner dieser Schreiber seine eigenen Erfahrungen, sondern sie berichten vielmehr die traditionellen Ansichten, die man ihnen erzählt hat oder die sie womöglich gelesen oder abgeschrieben haben … Damit nicht genug, sind wir bei dem, was wir über ihre Aufzeichnungen wissen, heute auf Abschriften von Abschriften abgewiesen, wobei die älteste Abschrift häufig erst aus dem Mittelalter stammt.” (Aid-Buch, engl. S.332:4,5) Die Zahlen, die ihr nach Diodor und Syncellus anführt, haben daher nicht viel Bedeutung und Gewicht gegenüber den zeitgenössischen Beweisen. Ich habe Herodot und Manetho/Africanus nur zitiert, weil ihre Zahlen durch neuzeitliche Entdeckungen von Dokumenten, die aus der Zeit von Amasis und Psammetich III. stammen, bestätigt worden sind. Obwohl Psammetich III. nur sechs Monate regierte, sagt ihr, “die höchste Zahl, die man auf einem Monument für diesen König kennt, ist 2 Jahre.” Tatsächlich widerspricht diese Angabe nicht einer sechsmonatigen Herrschaft dieses Königs, was jeder leicht erkennen kann, der mit der Methode der Ägypter, Regierungsjahre zu zählen, vertraut ist. Die Ägypter zählten kein Thronbesteigungsjahr (siehe meine Abhandlung, Seite 42, und Anhang, Seiten 88,89); das Jahr, in dem ein König an die Macht kam, zählte also gleich als sein erstes Regierungsjahr. Psammetich III. kam gegen Ende des Jahres 526 v.u.Z. an die Macht, wahrscheinlich nur ein paar Wochen vor der Jahreswende. Zu diesem Zeitpunkt stimmte der ägyptische Kalender fast mit dem julianischen Kalenderjahr überein, so daß die Thronbesteigung auch am Ende des ägyptischen Kalenderjahres stattfand. Obwohl er also nur für einen Bruchteil dieses Jahres herrschte, war es (gemäß der Art der Ägypter, kein Thronbesteigungsjahr zu zählen) sein erstes Regierungsjahr. Sein zweites Regierungsjahr begann somit nur ein paar Wochen nach seiner Thronbesteigung! Wenn er nur sechs Monate regierte, dann sind Dokumente aus dem fünften Monat seines zweiten Regierungsjahres das, was wir eigentlich nur erwarten sollten. Tatsächlich gibt es drei Urkunden (Papyri) aus seinem zweiten Jahr, datiert im 3., 4. und 5. Monat seines zweiten Jahres, was der ersten Hälfte des Jahres 525 v.u.Z. entspricht. Dann, im Mai oder Juni 525 v.u.Z., wurde Psammetich von Kambyses entthront. . Siehe F.K.Kienitz, Die politische Geschichte Ägyptens vom 7. bis zum 4. Jahrhundert vor der Zeitwende, Berlin 1953, S.156, Fußnote 7. Weiter bezieht Ihr Euch auf “ein in der Publikation Notice des papyrus démotiques archaíques (von Revillout) erwähntes Dokument [,…das] für einen König Psammetich, vom dem der Autor behauptet, es handle sich um Psammetich III., vier Jahre an[gibt]” (Unterstreichung von mir). E.Revillout war in den 1870er Jahren einer der Begründer der Publikation Revue Égyptologique, und der Artikel, den Ihr anführt, war offensichtlich der in Band VII, Nr.II, 1892, Seiten 41-44, veröffentlichte, obwohl ich die Aussage, die Ihr zitiert, in dem Artikel nicht finden konnte. Aber in einem Artikel, der in Band III, Nr.IV, 1885, Seiten 187-191 (und in Band VII, Nr. III, 1896, Seite 139), veröffentlicht wurde, erwähnt und zitiert Revillout eine Urkunde, die in das 4. Jahr eines Königs Psammetich datiert ist, den er für Psammetich III. hält. Zur damaligen Zeit konnte man das durchaus noch glauben, aber seither wurden viele wichtige Dokumente entdeckt, übersetzt und veröffentlicht, durch die Revillouts Hypothese antiquiert und veraltet ist. Beispielsweise wurden 1906 einige der Apis-Stelen durch Breasted übersetzt und veröffentlicht (Ancient Records of Egypt), die “Bittschrift von Petiese” wurde 1909 veröffentlicht (F.Ll.Griffith, Cat. of Demotic papyri, III), 1914 die “Demotische Chronik” (W.Spiegelberg, Demotische Studien 7: Die sogenannte Demotische Chronik), und auch die Inschrift in Wadi Hammamat wurde ährend dieser Zeit publiziert (H.Gauthier, Le livre de rois d’Egypt, Band 4). Die drei letztgenannten Dokumente geben alle 44 Jahre als Regierungszeit für Amasis an. Deshalb und aufgrund weiterer Beweise kann Revillouts Hypothese nicht mehr aufrechterhalten werden, und sie wird von keinem heutigen Gelehrten vertreten. Das von Revillout zitierte Dokument meint daher einen der früheren Könige namens Psammetich. Was Kralls und Spiegelbergs Datum für Psammetich III. (528/527 statt 526/525 v.u.Z.) angeht, so wirkten auch diese Forscher, bevor die Chronologie der 26.Dynastie fest verankert war (sie gehörten dem zweiten Teil des letzten und der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts an). Die Gelehrten waren sich einzig für eine lange Zeit uneins, ob Amasis 43 oder 44 Jahre regiert hatte. Das Problem wurde 1957 abschließend gelöst, als Richard A.Parker seinen wichtigen Artikel “The Length of Reign of Amasis and the Beginning of the Twenty-Sixth Dynasty” in Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Kairo Abteilung, XV, 1957, Seiten 208-212, veröffentlichte. Die von ihm zugunsten des Jahres 570 v.u.Z. als erstem Jahr des Amasis vorgelegten Beweise waren so stark, daß seine Schlußfolgerung innerhalb sehr kurzer Zeit allgemein angenommen wurde. Ich will versuchen, sie hier kurz zusammenzufassen: Ein Papyrus in der Sammlung des Louvre, Nr. 7848, datiert vom Jahr 12, I šmw 21 des Amasis (der 21. Tag des 9. Monats des ägyptischen bürgerlichen Kalenders, Pachons) bezieht sich auf einen geleisteten Eid “vor Khonsu… im Jahr 12, II šmw 13, dem 15. Tag im Mondkalender des I šmw.” Wie man sieht, ist dieser Papyrus doppelt datiert; er gibt ein Datum im 12. Jahr des Amasis an, sowohl nach dem ägyptischen bürgerlichen Kalender als auch nach dem Mondkalender. Während sich der bürgerliche Kalender von 365 Tagen durch das Sonnenjahr bewegte (etwa um einen Tag alle vier Jahre), war der Mondkalender natürlich an den Mond fixiert, und der 1. Tag eines jeden Monats begann immer am Neumondmorgen. Der eben angeführte Papyrus enthält die Angabe, der 13. Tag von II šmw (Payni, der 10. Monat) im 12. Jahr des Amasis sei auf den 15. Tag des Mondmonats gefallen, was bedeutet, daß der 1. Tag des Mondmonats (der Neumondmorgen!) auf den I šmw 29 (den 29. Tag des 9. Monats) des bürgerlichen Jahres fiel. Dies war natürlich nicht in jedem Jahr der Fall. Mit Hilfe einer astronomischen Tafel wie Herman H.Goldsteins New and Full Moons 1001 BC to AD 1651 (Philadelphia 1973) ist es leicht, nachzusehen, in welchen Jahren im 6. Jahrhundert v.u.Z. dies der Fall war. Astronomische Tafeln geben Daten zwar gewöhnlich nach dem Julianischen Kalender an, doch das ist kein Problem, da man die ägyptischen Kalenderangaben leicht in Julianische Daten übersetzen kann. Welches Jahr paßt nun auf die in dem Papyrus aus dem 12. Jahr des Amasis beschriebene Situation? Parker war in der Lage zu zeigen, daß das Jahr, in dem der Neumond auf den I šmw 29 des ägyptischen bürgerlichen Kalenders fiel, das Jahr 559 v.u.Z. gewesen sein mußte (5. Oktober nach dem Julianischen Kalender). Das 1. Jahr des Amasis muß daher das Jahr 570 v.u.Z. gewesen sein. Damit sind nur 45 Jahre für die beiden Regierungszeiten von Amasis und Psammetich III. zusammengerechnet übrig, nämlich bis zur Eroberung Ägyptens durch Kambyses im Mai oder Juni 525 v.u.Z. (570-525 = 45). Da Amasis 44 Jahre lang regierte (nach der Chronologie), muß Psammetich III. (chronologisch) 1 Jahr geherrscht haben. Und egal wie man die Regierungszeiten von Amasis und Psammetich III. rechnet, man kann ihnen nur zusammen 45 Jahre Herrschaft zumessen, und die gesamte Dauer der 26. Dynastie ist in jedem Fall eindeutig bestimmt. Das ist doch eine bemerkenswerte Bestätigung der Regierungszeiten von Amasis und Psammetich III., wie sie andere Urkunden angeben! Natürlich wird man auch ein oder zwei frühere Jahre im 6. Jahrhundert finden, in denen der Mondmonat am I šmw 29 begann — oder zumindest nahe an diesem Datum —, aber diese früheren Jahre passen zu keinem anderen Dokument oder zu einer der Angaben späterer Historiker. Daher ist die Chronologie der 26. Dynastie eindeutig und unabhängig bestimmt, und die Synchronismen, die die Bibel angibt, weisen eindeutig auf 587 v.u.Z. als dem Zeitpunkt der Zerstörung Jerusalems. Wiederum finden wir ein unabhängiges Zeugnis, das gegen 607 v.u.Z. für dieses Ereignis spricht. DIE 70 JAHRE – GEFANGENSCHAFT ODER KNECHTSCHAFT? Auf der Seite 4 Eures Briefes meint Ihr, ich würde die 70 Jahre als “siebzig Jahre Gefangenschaft in Babylon”, beginnend “im Thronbesteigungsjahr” Nebukadnezars, ansehen, und bringt anschließend einige Argumente gegen eine solche Ansicht. Leider habt Ihr meine Ansicht, die ich in der Abhandlung dargelegt und verteidigt habe, wohl mißverstanden. Wenn Ihr die Abhandlung genau lest, werdet Ihr sehen, daß ich niemals so etwas gesagt habe. Obwohl ich argumentiert habe, daß einige Gefangene — darunter Daniel und seine Freunde nach Dan. 1:1ff — kurz nach der Schlacht von Karkemisch nach Babylon gebracht wurden, habe ich die 70 Jahre sehr streng auf eine Zeit der Knechtschaft bezogen, nicht nur für Juda, sondern auch für die umliegenden Nationen und in enger Übereinstimmung mit der Vorhersage Jeremias (“Diese Nationen werden dem König von Babylon siebzig Jahre dienen müssen”; Jer.25:11). Schon aus meiner Überschrift auf Seite 49 hättet Ihr entnehmen müssen, daß ich das Thema nannte: “70 Jahre Verödung oder 70 Jahre Knechtschaft?” und nicht etwa “Verödung oder Gefangenschaft“. Ich habe auch bemerkt, daß Ihr in der Großdruckausgabe der N[euen-]W[Welt-Übersetzung der Bibel] in der Kopfzeile auf Seite 826 die siebzig Jahre als die “70 Jahre Knechtschaft” beschreibt — wie ich auch. Natürlich ist “Knechtschaft” nicht genau dasselbe wie “Gefangenschaft”, und für die Nationen, die um Juda herum lagen, bedeutete es doch auch nicht Gefangenschaft (oder gar Verödung!). Für die meisten Nationen bedeutete “Knechtschaft” nur eine Vasallenschaft, obwohl für Juda ein Teil der Knechtschaft auch zu einer Zeit der Gefangenschaft und Verödung wurde. Daß die Knechtschaft lange vor der Zerstörung Jerusalems begann, habe ich mit Zitaten einer Anzahl von Bibelstellen belegt (Abhandlung, Seiten 49-55), wie Dan.1:1; Jer.27, 28 und 35. Es sollten noch andere genannt werden wie 2.Könige 24:1, wo es über Jojakim heißt: “In seinen Tagen kam Nebukadnezar, der König von Babylon, herauf, und so wurde Jojakim für drei Jahre sein Knecht“, usw. Als er rebellierte, folgten darauf unmittelbar Vergeltungsmaßnahmen, um ihn unterwürfig zu halten. So begann die Knechtschaft sogar für Juda viele Jahre vor der Zerstörung Jerusalems und — wie dieser Text beweist — mehrere Jahre vor dem Ende der Herrschaft Jojakims. Weiter weist Ihr darauf hin, daß es in meinem Zitat auf Seite 51 aus Wisemans Übersetzung der Chronik BM 21946, daß Nebukadnezar nach der Schlacht von Karkemisch “das gesamte Hatti-Land” eroberte, nach der neueren Übersetzung von Grayson genauer heißen müßte “Ha[ma]th”, ein Gebiet in Hatti (Syro-Palästina). Ich bin Euch für die Berichtigung dieses Einzelpunktes dankbar (Graysons neueres Werk war mir 1977 nicht zugänglich). Aber ändert sich dadurch etwas? Auf der nächsten Seite meiner Abhandlung (Seite 52) habe ich weiter aus derselben Chronik zitiert: “In seinem Antrittsjahr kehrte Nebukadnezar nach Hattu zurück. Bis zum Monat Schebat durchzog er Hattu siegreich. Im Monat Schebat brachte er die gewaltige Beute aus Hattu nach Babylon…” Über Nebukadnezars erstes Jahr heißt es in der Chronik: “Alle Könige von Hattu traten vor ihn hin und er nahm ihren reichen Tribut in Empfang.” In allen diesen Stellen ist das Wort „Hattu“ im Original gut erhalten, und natürlich übersetzt es auch Grayson als “Hatti” (“Hattu”). Es wird doch aus der Chronik sehr deutlich, daß Nebukadnezar sich das gesamte Hatti-Gebiet (Syro-Palästina) bereits in seinem Antrittsjahr unterwarf, und spätestens in seinem ersten Regierungsjahr waren alle Könige von Hattu (wozu vernünftigerweise auch Jojakim gehört haben muß) Nebukadnezars Vasallen und zahlten ihm Tribut. Es ist interessant, auch auf die Wortwahl in dem genannten Zitat zu achten: “In seinem Antrittsjahr kehrte Nebukadnezar nach Hattu zurück.” Offenbar war er dort schon früher gewesen. Ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß Nebukadnezar nach der Schlacht von Karkemisch und der Eroberung von “Hamath” weiter nach Süden zog und begann, sich den Rest des Hatti-Gebietes zu unterwerfen und auch Gefangene von den Juden, Phöniziern, und Syriern mitzuführen, wie Berossus sagt? Das würde vollkommen mit dem übereinstimmen, was Dan.1:1ff (ohne weither geholte Texteinlegung) tatsächlich aussagt. Aber während seiner Offensive in den Süden erhielt Nebukadnezar die Nachricht vom Tod seines Vaters, worauf er schnell nach Babylon zurückkehrte, um sich den Thron zu sichern. Danach — und nach der Chronik immer noch in seinem Antrittsjahr — zog er nach Hattu zurück und setzte dort seine Operationen fort. Was wir sowohl aus der Bibel als auch aus der Chronik lernen, ist, daß die von Jeremia vorhergesagte Knechtschaft sehr bald nach der Schlacht von Karkemisch begann. Ob zu der Zeit einige jüdische Gefangene nach Babylon geführt wurden, ist eine andere Frage. Berossus sagt das, und seine Aussage wird bestätigt, wenn wir Dan.1:1ff und 2:1 wörtlich nehmen. Ich kann nicht erkennen, wie die Aussage von Josephus viele Jahrhunderte später, Nebukadnezar habe Juda damals nicht besetzt, dagegen spräche. Seine Feststellung stimmt nicht mit der Bibel überein. Seine Aussagen haben sich oft als falsch erwiesen, und sehr oft widerspricht er sich selbst. Er gibt für seine Aussage keine Quelle an, und es ist gut möglich, daß er nur seine eigene Auslegung mitteilt oder einfach rät. Ob er recht hat oder nicht, ändert nichts daran, daß die Knechtschaft gemäß der Bibel während der Regierung Jojakims begann und gemäß BM 21946 im Antrittsjahr Nebukadnezars. – – – – – – – – – – Wie ich in meiner Abhandlung gezeigt habe, sprechen alle alten und verläßlichsten Urkunden, die man hat, gegen unser 607 v.u.Z. Ich habe gerade zwei weitere Beweislinien zu denen in der Abhandlung aufgezeigt, die 587 v.u.Z. als das 18. Regierungsjahr Nebukadnezars stützen: (1) das Tagebuch BM 32312 und (2) die Nabonid-Stele aus Babylon. Mit all diesen Beweisen stimmt die Bibel überein: Wir brauchen Jer.25:10,11; 29:10; Dan. 1:1; 2:1; Sach.1:7-12 und 7:1-5 einfach so nehmen, wie es geschrieben steht, und wir werden zu demselben Schluß kommen. Nur durch eine Sonderauslegung von 2.Chron.36:20,21 kann man zu dem Schluß kommen, Jerusalem sei 607 v.u.Z. zerstört worden. Doch um diesen Schluß aufrechtzuerhalten, muß man alle weltlichen Urkunden, über die ich hier und in meiner Abhandlung gesprochen habe, verwerfen und mehr als das: Man muß eine Anzahl von Texten in der Bibel selbst uminterpretieren und ihnen eine sehr unnatürliche und weither geholte Bedeutung geben. Aber die Beweise gegen das Datum 607 v.u.Z. sind überwältigend. Ist es nicht merkwürdig, daß wir diese überwältigende Zahl an eindeutigen Beweisen zur Stützung des Datums 587 v.u.Z. nicht akzeptieren können (es läßt sich nicht ein einziges Dokument oder auch nur eine Zeile in einem Dokument zur Stützung des Datums 607 v.u.Z. finden), während wir zur selben Zeit ein anderes weltliches Datum — 539 v.u.Z. — auf weitaus schwächeren Füßen stehend akzeptiert haben und es sogar als “absolutes Datum” oder “Schlüsseldatum” bezeichnen? Etwa zwanzig Jahre lang hat man sich zur Stützung des Datums 539 v.u.Z. auf die Nabonid-Chronik bezogen, aber da sie als Beweis verworfen wurde (im Watchtower vom 15. Mai 1971, Seite 316), besteht unser einziger “Beweis” für dieses Datum im Ptolemäische Kanon (!) und einem Datum einer Olympiade, auf das sich die späteren Historiker Diodor, Africanus und Eusebius beziehen! – Aid-Buch, S.328:7 und 408:9. |
Wachtturm-Gesellschaft an Carl Olof Jonsson – 15. Mai 1980
EF:ESA New York, 15. Mai 1980 EF = Fred Rusk, Schreibkomitee Lieber Bruder Jonsson: die Schreibabteilung der Gesellschaft hat Deinen Brief vom 31. März mit Anlagen erhalten. Wir danken Dir für die weiteren Angaben und Anmerkungen. Wie wir in unserem Brief vom 28. Februar 1980 schrieben, werden wir jede Deiner Antworten auf unseren Brief lesen und sorgfältig abwägen. Die Zeit hat uns nicht erlaubt, gerade jetzt Deinem letzten Brief die versprochene Aufmerksamkeit zu schenken. Aber er wird nicht einfach zur Seite gelegt. Deine Nachforschungsarbeit kommt zu dem, was wir bereits über Bibelchronologie gesammelt haben. Deine Forschung hat Dich zu dem Schluß verleitet, daß in der Chronologie, wie sie in den Veröffentlichungen der Gesellschaft steht, gewisse Änderungen vorgenommen werden sollten. Du bist davon sehr überzeugt, aber wir müssen Dich zu Vorsicht ermahnen, da das für Dich zu einer Schlinge werden kann, wenn man nicht große Vorsicht an den Tag legt. Wir sind sicher, daß Du verstehst, daß es nicht angebracht wäre, wenn Du anfängst, Deine Ansichten und Schlüsse zur Chronologie weiterzusagen, die sich von denen der Gesellschaft unterscheiden, und so unter den Brüdern ernste Zweifel weckst und Probleme schaffst. Kannst Du auf Jehova warten? Wir laden Dich dazu ein. Er wird nicht zulassen, daß solche ernsten Fragen offen bleiben. Vielleicht ist es nötig, an der Chronologie einige Veränderungen vorzunehmen, aber es wäre unangebracht, solche Änderungen vorzunehmen, ohne alle diesbezüglichen Informationen zu erwägen und im Lichte der Bibel sorgfältig und gebetsvoll abzuwägen. Bis jetzt können wir nicht erkennen, daß die Beweise so stark sind, daß, wie Du vorschlägst, eine wichtige Änderung vorgenommen werden sollte. Es sind eindeutige Fragen erhoben worden. Es besteht Grund für ein weiteres und genaues Studium des Themas. Das tun wir. Inzwischen empfehlen wir Dir, Vertrauen zu Jehova und der Organisation zu haben, die er offenbar benutzt. Versuche nicht, es zu untergraben oder bei Brüdern und Schwestern Zweifel zu säen, indem Du die Chronologie für sie zu einer Riesensache machst. Hilf ihnen, Wertschätzung für die Liebe Jehovas und das zu haben, was er tat, indem er seinen Sohn als Loskaufsopfer sandte. Erbaue im Glauben und laß Deine guten Werke im Predigen der “guten Botschaft” und Helfen eine Empfehlung sein. Laß nicht zu, daß Fragen zur Chronologie Dich im Glauben schwächen und Du Gelegenheiten verpaßt, für die Brüder in der Versammlung wirklich wertvoll zu sein.. Wir haben Dein Angebot zur Kenntnis genommen, der Gesellschaft bei der weiteren Klärung zu helfen oder ihr beim Studium der Bibelchronologie beizustehen. Wenn Du in dieser Hinsicht ausgeglichen bleibst, besteht die Möglichkeit, daß Du irgendwann in der Zukunft bei diesem Studium zu Diensten sein kannst. Wenn Du Dich aber bloß als kritischer Geist zeigst, wird sich auch das Gute, das Du tun willst, nicht als konstruktiv und hilfreich herausstellen. Du hast ein Interesse daran, daß in den Publikationen die Wahrheit steht, aber sei dessen sicher, daß wir das nicht weniger wollen als Du. Doch wenn irgendwelche Änderungen vorgenommen werden müssen, dann stehen wir wie oben erwähnt dazu, daß diese nur vorgenommen werden, nachdem alle Faktoren genau und gebetsvoll untersucht wurden, und oft braucht eine solche Analyse seine gute Zeit. Wir betonen nochmal, daß Du, Bruder Jonsson, auf Jehova warten mußt, wie wir uns ganz darauf konzentrieren, uns ihm als treu zu erweisen. Unser Erbe in seinem neuen System ist das Wichtige. Und während wir mit seinem Volk den Weg zum Leben beschreiten, möchten wir anderen helfen, Jehovas Vorkehrungen an diesem Tag seiner Rettung zu nutzen. Möge Jehova Deinen ehrlichen Wunsch segnen, ihm zu dienen und sich als nützliches und ehrenhaftes Gefäß zu seinem Lobpreis zu erweisen. — 2.Tim.2:20,21. Bei dieser Gelegenheit senden wir Dir Grüße christlicher Liebe. Deine Brüder im Dienste Jehovas. Watchtower Bible & Tract Society of New York, Inc. |
Bild: Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben (Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania), 1982, Seiten 140, 141.